Wir leben in Europa in einer überwiegend christlich geprägten Kultur.
Egal ob wir nun christlich erzogen sind oder nicht, leben wir doch in diesen Gesellschaftsstrukturen.
Alle Lehren gingen früher von Klöstern aus. Das Kloster war die Bildungseinrichtung schlechthin. Wissen, „Moral“, Gesellschaftsnormen und Regeln wurden von dort aus vermittelt und ins Volk getragen.
Die ersten Klosterregeln nach denen gelehrt und gelebt wurde, waren die Benediktinerregeln. Entstanden sind diese im sechsten Jahrhundert. Über Jahrhunderte hinweg wurden diese Richtlinien prägend unters Volk gemischt.
Ließt man in diesen Regeln wird einem beizeiten ganz schlecht. Wo Wurmdenken und Überheblichkeitsgefühle ihren tief verwurzelten Ursprung in der Gesellschaft haben ist danach klar, ebenso wo Themen von Leid, Schuld und Buße fußen. Nach oben buckeln, nach unten treten, ist das Motto.
Mir ist beim Lesen einiges klar geworden und manche Denkweise die mir vorher ganz verschoben vorkam, erklärt sich mir jetzt. Es wird wirklich Zeit sich aus diesen alten Gesellschaftsregeln zu lösen und neue, eigene, freie Wege zu gehen.
Ich möchte hier nur einige Auszüge zitieren. Die ganzen Regeln findet man unter http://abtei.kloster-ettal.de/orden-spiritualitaet/die-regel-benedikts , wenn jemand selbst genauer nachlesen möchte.
Unter „Der Abt“:
„26. Auf keinen Fall darf er darüber hinwegsehen, wenn sich jemand verfehlt; vielmehr schneide er die Sünden schon beim Entstehen mit der Wurzel aus, so gut er kann.“
Klar, wenn jemand was falsch macht, immer drauf haun! Schon logisch, dass man Fehler nicht so gerne zu gibt unter diesen Umständen. Dabei wären sie so menschlich und gar nichts dabei.
Unter „Die Einberufung der Brüder zum Rat“:
„4. Die Brüder sollen jedoch in aller Demut und Unterordnung ihren Rat geben. Sie sollen nicht anmaßend und hartnäckig ihre eigenen Ansichten verteidigen.“
Wenn man schon so tun muss, als hätten andere was zu sagen, um sie bei Laune zu halten, sollen sie wenigstens das Maul halten und ihre Sichtweise nicht auch noch hartnäckig zum Ausdruck bringen.
„8. Keiner darf im Kloster dem Willen seines eigenen Herzens folgen.“
Wie schrecklich!
Unter „Die Werkzeuge der geistlichen Kunst“:
„2. Ebenso: Den Nächsten lieben wie sich selbst. (Mk 12,30-31; Lev 19,18)“
Ui, mal was schönes! Man soll sich selbst lieben! 🙂
Find ich ja klasse, weil wenn sich jemand selbst mag, dann kann er ja auch gut für sich sorgen und glücklich sein und dann sorgt er ganz automatisch auch für andere gut.
Grund genug in den folgenden Statuten gleich wieder gründlich damit aufzuhören, weil so jemand der sich mag könnte ja eventuell aus der Macht-Unterdrückungsspirale ausbrechen wollen…
„11. Den Leib in Zucht nehmen. (1Kor 9,27)
12. Sich Genüssen nicht hingeben.
20. Sich dem Treiben der Welt entziehen.“
Bäh! Ich will mir aber gutes tun und genießen!
„30. Nicht Unrecht tun, vielmehr erlittenes geduldig ertragen.
32. Die uns verfluchen, nicht auch verfluchen, sondern – mehr noch – sie segnen. (Lk 6,28; 1Petr 3,9) „
Und wenn mir jemand eine oben drauf haut, dann sag ich noch danke und bin glücklich wenn er es wieder tut…
Soweit kommt‘s noch! Und wie ich mich wehre! Und wütend bin ich auch, wenn es mit passt!
„34. Nicht Stolz sein, (Tit 1,7)“
Oh, wäre das schön, wenn endlich alle Menschen auf sich stolz wären! Dann bräuchten wir uns nicht mehr mit den Folgen von Minderwertigkeitskomplexen plagen.
„42. Sieht man etwas gutes bei sich, es Gott zuschreiben, nicht sich selbst.
43. Das Böse aber immer als eigenes Werk erkennen, sich selbst zuschreiben.
57. Seine früheren Sünden unter Tränen und Seufzen täglich im Gebet Gott bekennen;“
Wann lobt man sich schon mal selbst!? Leider viel zu selten!
Und wenn was wirklich gut war, hat man selber gar nicht so viel mit dem Erfolg zu tun, weil…
Aber wenn man etwas falsch macht, grübelt man nach Jahren noch darüber und hat das Gefühl, das man so schlecht und schlimm ist und lässt davon gar nicht mehr ab…
„54. Häufiges oder ungezügeltes Gelächter nicht lieben.“
Es gibt doch nichts schöneres als zu lachen! Auch mal über sich selbst oder über völlig absurde Dinge. Oder über solche Regeln.. Ich lache zumindest sehr gerne! 🙂
„60. Den Eigenwillen hassen.“
Aaaaaaaaaahhhhhhhhhh….. Wie schrecklich!
So geht’s dann noch viele, viele Seiten lang weiter…
Ich hoffe sehr, dass sich immer mehr Menschen trauen diese Gesellschaftsstrukturen zu hinterfragen, dem Machtmissbrauch, der oft als Glaube verkauft wird zu erkennen und sich davon bewusst distanzieren können. Jeder der aus diesen Themen aussteigt und sich selbst wieder ein glückliches freies Leben gönnt, macht diese Welt so viel reicher, finde ich.
Und dann braucht es diese „Leidwettkämpfe“ auch nicht mehr.
„Mir geht es schlecht.“ „Ach mir geht’s ja noch viiiiiiiiiiiiel schlechter.“
Und dann kann man auch wieder mit gutem Gewissen sagen: „Mir geht’s gut!“, ohne dabei ein fast peinliches Gefühl zu haben.
Und ich muss mich nicht mehr klein machen, sondern ganz groß und darf stolz auf mich sein…
Viele dieser Themen sind auch in mir so unglaublich tief verankert, dass es schwer ist sich von der Denkweise zu lösen, sie überhaupt erst zu hinterfragen.
Jeden Tag ein bisschen freier und liebevoller… 🙂
8. find ich auch voll schrecklich und insgesamt ist mir übel geworden.
bei einigen passagen kommt es mir so vor, als ob hier das ergebnis von erleuchtung, in unglückliche, ja absonderliche formulierungen als regeln übersetzt wurde. z.b. „nicht stolz sein“ oder „den eigenwillen hassen“. beides qualitäten des egos (ohne bewertung), welche in der erleutung losgelassen werden. doch das geschieht nicht, weil es jemand vorschreibt.
was ich noch überlege, ob mit dem „gelächter“ eher nicht das lachen gemeint ist, sondern das über jemanden lachen, also auslachen, sich lustig machen.
Danke, das war echt ein Augenöffner! Auch wenn man ja im Grunde weiß, wo dieses Zeug herkommt, aber es so direkt vor sich zu sehen, machte es mir noch mal klarer, was da noch für alte Programme sitzen. Garantiert sind einige von uns in anderen Leben in Klöstern gewesen und haben diese Glaubens- und Verhaltensmuster noch irgendwo sitzen. Ich habe zwar eigentlcih schon alle alten Verträge aufgelöst, aber man kann das ja gleich noch mal speziell für diese Statuten tun.
Was Sophie 0816 schreibt, find ich auch bedenkenswert. Es gibt einen falschen Stolz, der aus dem Ego kommt und eigentlich ein Zeihen von Unsicherheit ist. Er äußert sich eher als Arroganz, als Auf-andere-Herabsehen.Diese Art von Stolz kann man ruhig loslassen, denn wenn man seinen eigenen Wert kennt, braucht man ja auch keinen Kompensationsmechanismus mehr.
Letzten Endes kommen glaub ich all diese Konzepte aus einer falschen Vorstellung von Gott. Diese Leute haben versucht, sich Gott anzunähern, aber sie sahen Gott als einen kritischen Elternteil und dachten, daß „Brav sein“ und nichts Falsches tun der Weg wäre, Gott zufriedenzustellen. Ich hatte lange Zeit auch damit zu tun, daß ich dachte, der „göttliche Wille“ sei das Gegenteil von meinem Willen – weil ich nicht sehen konnte, daß Gott alles ist, auch ich selber. 😉 Vielleicht werd ich mal was dazu posten.
Und es waren wohl nicht alle Orden so. Ich sprach mal mit einer Frau, die an ein Leben das sie im Kloster als Nonne verbracht hatte, die schönsten Erinnerungen hatte.
Ich würde Dir wünschen, einmal einem Benediktiner oder einer Benediktinerin zu begegnen… in aller Freiheit und Offenheit 🙂
Hallo, 🙂
ich habe kein Problem damit Benediktinern oder Benediktinerinnen in aller Offenheit zu begegnen, genauso, wie ich mich auch darum bemühe anderen Menschen offen und vorurteilsfrei zu begegnen. Die Arbeit und das Wesen so mancher Ordensleute ist sicher ehrenswert und soll durch den Text nicht in Frage gestellt werden.
Nichts desto trotz stelle ich diese Regeln kritisch in Frage, weil sie unser Gesellschaftsbild stark mitbeeinflusst haben, immer noch beeinflussen und mit ihren Aussagen und Inhalten meiner Meinung nach zu Problemen geführt haben, von denen wir uns heute bewusst wieder distanzieren dürfen und sollten.
Liebe Grüße,
die bunten Schmetterlinge 🙂