Bin mich suchen gegangen

Mal wieder an einem Punkt, an dem es schwer wird die Vergangenheit zu fassen.
Ich bin auf Spurensuche.

Es gab Zeiten, da war klar, dass mir etwas ganz furchtbares zugestoßen ist. Da waren die Bilder im Kopf klar.
Es gab Zeiten, da war klar, dass an all diesen Dingen gar nichts dran ist. Alles nur Phantasie. Lüge.
Es gab Zeiten, da stimmte beides gleichzeitig – irgendwie.

Ich suche…
… nach einer Wahrheit, die ich eigentlich kennen müsste.

Ist Gewalt passiert? Ist sie nicht passiert?
Bin ich vergewaltigt worden?
Gab es „nur“ Missbrauch?
Und wenn ja, wer hat mir das angetan?
Fragen, für die ich alle schon Antworten hatte, die mir dann aber immer wieder durch die Finger rinnen, wie Sand. Antworten, die ich nicht halten kann, weil sie immer wieder ins Schwarz versinken.
Nun soll eine endgültige Antwort her. Eine die Bestand hat vor den unerbittlichen Prüfungen meines Verstandes. Eine Antwort, um mich endlich nicht mehr schlecht fühlen zu müssen, wenn ich über Dinge rede, die ich noch nicht einmal sicher weiß.
Im Grund also eine Antwort auf die Frage: „Wer bist du eigentlich, Sofie?“
(Und wenn ja, wie viele? 😉 )

Aktuell aufgeworfen wurden die Fragen wohl durch wiederkehrende starke körperliche und emotionale Gefühle vergewaltigt worden zu sein. Allerdings ohne greifbare dazugehörige Erinnerungen. Wenn überhaupt Bilder auftauchen , dann erscheinen Sie mir so fern, dass Sie mir als Beweis nicht genügen. Vielleicht nur gehört, gelesen, gesehen?
Es wird wahrscheinlich ein Indizienprozess.
Ich weiß mittlerweile sicher, dass es Gewalt gab, seelisch und körperlich.
Auch den Missbrauch gab es.
Was das betrifft sind die Erinnerungen klar und deutlich und es lässt sich genug von den begleitenden Umständen rekonstruieren.
Aber was ist mit dem Gefühl vergewaltigt worden zu sein? Real?
Und vom wem? Ich möchte als erwachsene Frau klar kriegen, was in meinem Leben passiert ist.
Die innere Diskussion über die Häufigkeit und das Ausmaß der ganzen Gewalt, spare ich mir gerade noch. Erstmal die „Grundformen“ der erlittenen Gewalt klären.

Es ist, als würde dieses Thema irgendwo im Nebel versumpfen.
Ungreifbar, diffus.
Diffuse Dauerpräsenz.
Allein die heftigen Reaktionen auf das Wort „Vergewaltigung“. Als würde mir jemand ein Messer ins Herz rammen. Der Körper erschrocken erstarrend. Die Qual dieses Momentes in jeder Muskelfaser spürend.
Wie den Schleier lüften?

Ich fange noch einmal an nach standfesten Indizien zu suchen rund um diese Gefühle…
Indizien, die mich von der Selbstbezichtigung als Lügnerin befreien…
… vielleicht.
Indizien, die mir mein Leben erklären.

In einem Meer aus schwarzen Löchern.

Wo werde ich landen?

9 Kommentare zu “Bin mich suchen gegangen

    • Danke! 🙂
      Ich hab tatsächlich hin und her überlegt, ob ich das öffentlich schreiben will, weil das Thema vielleicht irgendwie schwierig nachzuvollziehen sein könnte und ich nicht wusste, wie das aufgefasst wird. Drum freut mich, deine Rückmeldung sehr! 🙂

  1. Liebe Sofie, ein ganz beeindruckender Text… der mir im Moment sehr aus dem Herzen spricht… Er ist schon älter… wie ist es weiter gegangen? Wie würdest du heute sagen, dass der Prozess vom Fragen: „Ist Gewalt passiert? Ist sie nicht passiert? Bin ich vergewaltigt worden? Gab es „nur“ Missbrauch?“ weiter gegangen ist… „Wenn überhaupt Bilder auftauchen , dann erscheinen Sie mir so fern“… und dann irgendwann kannst du es als Gewissheit sehen: Es ist dir passiert… Ich bin auf diesem Weg… und höre immer wieder die Zweifel… die viel stärker sind als die leise Ahnung: Doch es ist passiert… Hast du ein oder zwei konkrete Augenblicke im (Therapie-)Prozess, die für dich entscheidend waren, sie zu tun oder zu glauben, um die Richtung „Gewissheit“ einschlagen zu können?

    • Liebe Birke,
      ich stelle mir heute die Fragen in der Form tatsächlich nicht mehr. Es ist ganz klar, dass wir Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigung erlebt haben. Manche Erinnerungsinhalte konnten uns sogar andere Personen im Außen mittlerweile bestätigen. Aber auch ganz abgesehen davon besteht für uns kein Zweifel mehr. Wir wissen manchmal noch nicht, wo und wie das ein oder andere Puzzleteil einer Erinnerung einzuordnen ist, aber Fakt ist, dass es passiert ist.
      Manche Bilder sind sofort klar und nah spürbar, wenn sie auftauchen. Bei anderen habe ich das Gefühl, dass sie zwar irgendwie im Kopf, aber doch ganz fern sind. Dann kann ich sie kaum greifen oder als zu mir gehörig begreifen und muss abwarten, bis sich die Dissoziation noch etwas lichtet. Mittlerweile weiß ich aber, dass diese „Ferne“ an der Dissoziation liegt und nicht daran, dass die Bilder Phantasie wären.

      Ein extrem wichtiger Schritt in der Therapie war für uns tatsächlich eine Position der Neutralität zuzulassen und wegzukommen von absoluten Festlegungen von „Ja, stimmt.“ oder „Nein, das war so nicht.“ Wir haben uns darauf geeinigt offen zu sein und uns das, was in uns vorgeht einfach erst einmal anzuschauen, als etwas, was uns zumindest sehr beschäftigt und ernst zu nehmen. Die Einordnung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Das hat für uns einen ganz wichtigen Raum eröffnet, in dem ich das erste Mal wirklich hinsehen konnte, was uns da immer wieder so überfällt und quält.
      Im Grunde haben sich alle anderen Schritte fast von selbst daraus ergeben. Irgendwann waren die Bilder und Gefühle so klar, dass ich mich bewusst dazu entschieden habe, mir, bzw. den Innenleuten zu glauben und die Erinnerungen als Wahrheit anzuerkennen.

      Liebe Grüße,
      Sofie

  2. Danke… anzuschauen, als etwas, was sehr beschäftigt… gute Idee… denn Ja, das tut es… es beschäftigt sehr..

  3. Liebe Sofie,
    Dein Eintrag hat mir geholfen zu beschreiben was bei mir selbst gerade passiert. Ich dachte ich werde verrückt, doch nun lese ich, dass du einst so gefühlt hast, wie ich gerade. Ich könnte schreien und weinen. Nur um hysterisch zu lachen. Wie du es beschreibst. Ein Gefühl ohne Bilder. Der Körper der schreit und das heulen wollen bei gewissen Worten. Und dann nur Leere im Kopf. Ich will es nicht glauben. Obwohl ich es weiß. Wie paradox. Vielleicht kann ich es langsam selber glauben. Denn wissen und dem Wissen wirklich glauben und es verstehen, sind wohl zweierlei.
    Ich danke dir wirklich. Danke
    Alles Liebe Alice

    • Liebe Alice,
      nichts zu danken! Dafür ist der Blog ja im besten Falle auch da, dass man sich vernetzt und verstanden fühlt. Du bist ganz sicher kein bisschen verrückt! Meine Thera hat früher immer gesagt, wenn ich mich das noch frage und Angst davor habe, kann ich recht sicher sein, dass ich es nicht bin. 😉 Für uns war es damals ein Anfang, uns zu erlauben, dass wir eben nicht verrückt sind und die Symptome ernst nehmen dürfen – völlig unabhängig davon, ob wir vllt irgendwann rausfinden, dass es anders war. Aber auch das hätten wir ja nicht erforschen können, wenn wir uns gar nicht erlaubt hätten hinzusehen.

      Liebe Grüße,
      Sofie

      • Liebe Sofie,
        mein Leben springt mir um die Ohren, ich komme nicht zu recht zum Blog und allem drum rum. Ich versuche gerade diesen Weg zu gehen. Im Innen ist so viel Aufruhr, dass ich nur noch um Ruhe bitte. Die ich nicht bekomme. Deine Worte geben mir Kraft, jetzt gerade, um morgen mit meiner Ärztin diese ganze Sache irgendwie mal wieder auf Kurs zu kriegen. Ich falle auseinander. Ich weiß auch nicht.

        Wie schaffst du es deiner Meinung und Entscheidung treu zu bleiben??? Ich dreh mich da ewig im Kreis.

        Liebste Grüße
        Alice

      • Liebe Alice,
        manchmal klappt das mit dem Bloggen einfach nicht so recht. Ging mir diesen Sommer auch so. Irgendwie war so viel los, dass für’s schreiben einfach keine Zeit und Lust bleibt. Das ändert sich aber auch wieder. 😉
        Es freut mich, wenn wir dir hier auf die Ferne etwas beistehen können.

        Deine Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich glaube das schwierigste ist für mich immer heraus zu finden, ob es wirklich meine/unsere Meinung ist, die schwankt oder ob sich vielmehr die Erwartungen von außen als eigene Meinung tarnen und einmischen. Im Moment geht’s mir beispielsweise mit meiner Arbeit so. Bin ich wirklich bereit schon wieder voll einzusteigen oder brauche ich etwas anderes, will es aber den gesellschaftlichen Erwartungen recht machen? Wenn ich völlig frei wäre, würde ich derzeit ganz klar noch gar nichts machen, andererseits fühlt es sich oft so an, als hätte ich Lust dazu diesen Normen nachzukommen.
        Wenn ich mich gar nicht entscheiden kann und merke, dass mich dieser Zustand belastet, fange ich manchmal einfach mit einer Möglichkeit an. Wenn es nicht die Richtige war, weiß ich das später zumindest und kann es ändern. Oder ich lebe mal zwei, drei Tage so, als hätte ich mich für die eine Seite entschieden und fühle nach, wie es mir dabei geht und anschließend tu ich so, als wäre die andere schon entschieden und spüre dem nach. Letztlich glaube ich, dass man damit irgendwie möglichst spielerisch umgehen muss. Meinungen können und dürfen sich ändern und Entscheidungen ebenso. Fehlerfrei ist wohl niemand und vielleicht darf man gerade als traumatisierte Frau auch lernen, dass man an Fehlern heute nicht mehr stirbt. Leichter gesagt, als getan… ich weiß. 😊

        Liebe Grüße und einen guten Start ins Wochenende!
        Sofie und Co 🦋😊

Kommentar verfassen: Entscheidest du dich für das Absenden eines Kommentars wird deine IP-Adresse, deine E-Mail-Adresse, dein Name und ggf. deine angegebene Webseite in einer Datenbank gespeichert. Mit dem Klick auf den Button "Kommentar absenden" erklärst du dich damit einverstanden.

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..