Sagen, wer ich wirklich bin

Ich sitze hier und fange an zu tippen.
Seit Tagen gefangen in dichtem Nebel.
Meine Fingerspitzen berühren die Tastatur bevor mein Kopf weiß, worüber ich eigentlich schreiben will.
Erkenntnisse nehmen sich Raum in meinem Inneren. Ich stehe vor Ihnen wie vor uralten, teueren und wichtigen Fundstücken in den Vitrinen eines Museums. Man hat schon oft von Ihnen gehört und man weiß, dass es sie gibt. Manchmal ist man sogar schon an Ihnen vorbeigeschländert und hat sie kurz betrachtet. Sie sind nicht neu entdeckt, aber sie bekommen eine andere Qualität, weil sie nun noch einmal aus einer anderen Perspektive betrachtet werden.
„Man kann wirklich komplett vergessen!“
„Ich habe mich erinnert.“
„Es ist wahr.“
„Sie hat dich nie wirklich geliebt!“
„Er hat es wirklich getan.“

Es sind viele Erkenntnisse, die in den letzten Tagen plötzlich wie Ohrfeigen in mein Bewusstsein steigen.
Das Kind in mir schreit vor Schmerz und ist so froh, dass ich es sehe. Endlich.
Puzzelstücke fügen sich neu zusammen.
Erinnerungen werden in Ihren Zusammenhängen und Auswirkungen klarer.
Schmerz, Traurigkeit und taube Leere erfüllen Körper und Seele.
„Ich kann nicht mehr!“, möchte mein Mund schreien, doch ich kann es nicht mal flüstern.
„Ich kann!“, versuche ich mir klar zu machen.
Und je klarer mir wird, was passiert ist und dass es nicht meine Schuld war und nicht ich mich darfür schämen muss, desto klarer formt sich ein drängendes Bedürfnis:
Ich will darüber reden. Das Schweigen brechen. Nicht nur in der Therapie!
Ich will ich sein. Ganz sein. Indem ich mir den Raum nehme, so zu sein wie ich bin und dazu gehört meine Geschichte.
Wer sie nicht hören will, lehnt mich ab. Sie ist zu groß, macht mich zu sehr aus und beeinflusst mich zu stark, um nur für eine Stunde in der Woche raum zu haben darüber reden zu dürfen. Es muss aufhören, dass wir uns niemals irgendwo wirklich zugehörig fühlen, weil in uns die Angst bleibt: „Wenn Sie wüssten, wer ich, wer wir, wirklich sind, dann wären Sie bestimmt alle weg!“ Es muss aufhören, weil sonst die Spaltung in der realen Welt weiter geht. Wir haben etwas zu sagen und bestimmt hilft das neben uns selbst auch anderen!
Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde reden
und die Welt wird mir zuhören!
Ich schaffe das!
Wir schaffen das!

13 Kommentare zu “Sagen, wer ich wirklich bin

  1. Ich kann diese Gefühle so sehr nachvollziehen. Es erinnert mich an eine Zeit, in der es mir ebenso ging. Eine Zeit, die Vieles veränderte in mir und damit im Außen. Die Entscheidung, dass ich nicht nur in der Therapie sein möchte, sondern zu meinem Leben stehen will, bringt mich vorwärts im Leben und zurück zu mir selbst zugleich. Und mit der Zeit wurde mir klar, wo ich offen und aufrecht über mich sprechen kann, und wo ich es lasse und zwar nicht, weil ich mich verstecken will, sondern weil es Menschen gibt, denen gegenüber es besser ist nicht zu persönliche Dinge zu offenbaren und zwar egal, ob es Gewalterfahrungen sind, oder verletzliche Momente die es in jedem Leben gibt.

    Ich wünsche dir von Herzen weiterhin viel Erfolg! Weiterhin, weil es wirklich sehr vielversprechend klingt, nach einem großen Schritt. Gratuliere. 🙂

    • Wie das genau aussieht muss sich noch zeigen. Es ist zumindest ein großes Bedürfnis. 🙂
      Mal sehen, zu welchen Erfahrungen und Schlüssen mich das bringt. Bei manchen Menschen hast du sicher recht, da würde ich auch nicht wollen, dass die überhaupt etwas über mich wissen.

      Danke für die lieben Wünsche und das teilhaben lassen an deiner Erfahrung! 🙂
      Liebe Grüße!
      Sofie und die bunten Schmetterlinge

  2. Hallo ich lese schon seit ein paar Wochen deine Beiträge, habe mich aber bisher nicht getraut zu schreiben. Wir stehen auch gerade wieder vor einem Trümmerhaufen. Die mühevoll aufgebauten Mauern zu unserem Schutz sind zusammen gefallen durch eine einzige Aussage die uns sehr getroffen hat. Wie eine Ohrfeige. Der Satz ich kann nicht mehr. Wir haben gekämpft und verloren und wieder gekämpft und wieder verloren und irgendwann möchte man diesen einen Satz ich kann nicht mehr denjenigen in die Ohren schreien, die immer sagen weiter kämpfen. Ich bin leider noch nicht an diesem Punkt angelangt zu sagen mich bzw. Uns trifft keine Schuld. Ich bin einfach noch auf der Suche nach uns. Darüber reden wer wir sind ein Ding des unmöglichen. Es gibt nur wenige die uns wirkli ch so kennen wie wir sind. Ich hoffe sehr für dich dass du das schaffst vielleicht nicht heute oder morgen , aber wie heisst es in einem Kinderbuch welches meine Kinder sehr lieben: alles zu seiner Zeit. Und ich denke das gilt auch für das darüber reden. Ihr werdet den Zeitpunkt spühren und dann wird es vielleicht auch gar nicht so schwer. Wir wünschen euch viel Glück und vor allem Menschen denen ihr vertraut und die euch dann auch zuhören

    • Hallo, 🙂
      wie schön, dass Ihr euch jetzt doch getraut habt zu schreiben!
      Wenn Ihr mal nicht öffentlich Kommentieren wollt oder etwas privates zu sagen habt, könnt ihr gerne auch einfach eine E-Mail schreiben. Nur so als Angebot…

      Wir kennen das auch, dass wir uns lange Zeit gut wappnen und dann kommt ein dummer Satz oder eine blöde Bemerkung und dann sacken wir innerlich zusammen. Manchmal fragen wir uns auch, wie das gehen soll, wenn die Helfer „nicht mehr können“, von uns aber verlangt wird nach vorne weiter zu gehen. Oft sehr mies, verletzend und unfair. Das können wir gut verstehen!
      Immer können wir uns auch nicht sagen, dass wir unschuldig sind. Manchmal brechen wir total ein. Aber die Phasen in denen wir uns das glauben können werden immer länger.
      Wir halten grade die Augen offen und werden sicher die richtige Gelegenheit finden, um uns zu äußern. Wir spüren, dass es Zeit wird und irgendwo wird sich ohne Druck ein Anfang finden. 🙂

      Liebe Grüße,
      Sofie und die bunten Schmetterlinge

  3. Dieser Beitrag ist zwar schon fast 2 Jahre her, aber ich bin jetzt erst darüber gestolpert und finde ihn so wichtig. Wichtig auch, weil ich es kenne seit langem und immer noch. Bist Du weitergekommen? Hast Du es geschafft mehr Du auch im Aussen zu werden? Verkraften Dich die anderen?
    Deinen Beitrag könnte ich wort für wort selbst geschrieben haben.
    Ich drück Dich ganz herzlich virtuell 🙂

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