Reizende Weihnachten

Ich drehe am Rad und am Deckel des kleinen Medizinfläschchens.
Die Plastiksicherung knackt, wie erwartet, beim ersten Öffnen. Sanft, aber hektisch, drücke ich den Gumminupsi zum Befüllen der eingebauten Pipette in der Verschlusskappe zusammen. Meine Zunge zählt: „Ein Tropfen, zwei Tropfen, drei Tr… ach egal! Ich nehm‘ einfach die ganze Füllung!“ Noch ehe die Flüssigkeit meinen Gaumen benetzt hat, erwarte ich ihre Wirkung. Entspannung! Ausgleich! Entlastung! Aber flott!!!
Meine Schleimhäute machen derweil Bekanntschaft mit dem Trägerstoff der Arznei – Alkohol und fühlen sich eher weniger beruhigt. Während meine Gedanken versuchen sich an einer Notfallstrickleiter entlang zu hangeln, frage ich mich, weshalb sich dieses Gebräu eigentlich „Rescue Tropfen“ nennen darf, wenn sich im Ernstfall nicht sofort etwas tut. Ich verwerfe meine Überlegungen diesbezüglich und Schlucke.
Die Tropfen, die Bitterkeit, die Tränen.
Weshalb geht‘s uns grad eigentlich so? 🤔
Das Christkind war da. Es war brav, hatte Geschenke dabei und hat uns vor allen Dingen dieses Jahr nicht vergessen. Erinnerungen habe ich grade keine. Zumindest keine Bilder. Dennoch stehe ich unter Druck, wie ein Dampfkessel auf der Flucht.
„Was ist los?“, frage ich nach innen.
Wenig Antwort. Nur der Wunsch nach Ruhe.
„Ich hab euch lieb“, flüstere ich durch die dicken Nebelwände.
Die Zeit steht still.
Der Körper ist taub.
Ich bin raus…
Körperauszeit ehe ich mich zurück ins Leben brülle:
„Du Arschloch! Du verdammtes Arschloch! Ihr miesen Verräter!“
Aus der Krippe fließt mein Blut. Die Bilder sind hinter der Schutz-Wut—Mauer.