Das leere Gesicht der Dissoziation

Zustände von Leere begleiten uns durch unser gesamtes Leben. In vielen Situationen waren sie überlebenswichtig. Heute verhindern sie manchmal, dass wir das Leben spüren, wenn sie uns zeigen wie „leer“ unser Leben war.

Ein bisschen stelle ich mir diese absolute Taubheit vor, wie eine alte weise Frau mit einem großen Beutel voller kleiner und größerer Gefäße. In den dunkelsten Stunden setzt sie sich zu uns. Dann nimmt sie mit ihrem Zauber allen Schmerz in ihre Fläschchen und schafft einen Raum der Stille im geschundenen Seelenkörper.

Früher hat Frau Leere uns in todesnahen Momenten oft besucht. Todesnah, das war nicht nur, wenn unser Herz aufhörte zu schlagen. Todesnah waren für das Kind auch die Erlebnisse, in denen seine Seinsberechtigung verbal ausradiert wurde und Situationen in denen es vor lauter Schmerz nicht hätte im Körper bleiben können.
Im Alltag war Frau Leere eine große Hilfe. Ohne sie hätte ich nicht lächelnd zur Schule gehen können. Sie schob mir Boden unter meine Füße und erlaubte es mir in getrennten Welten die jeweils geforderten Höchstleistungen zu bringen.

Heute sitze ich manchmal mit ihr da, starre zum Fenster hinaus oder einfach nur die Wand an. Dann nimmt Frau Leere meine Hand und schenkt mir einen Tropfen des alten Schmerzes zurück. Eine kleine Essenz aus meinem Sein. Plötzlich füllt sich dann der Augenblick mit tränenüberströmten Wunden. An die Stelle der Taubheit tritt zerbersten. Ich fühle mich und die Anderen und das ist schrecklichschön. Dann bleibt mir nur zu atmen. Durch die Schauer hindurch. Bis ich am Ende ein Stück meines Selbst geboren habe und erschöpft in Frau Leeres Arme falle. Meist hat auch sie sich dann verändert. Sie lächelt milde und ist nicht mehr ganz so groß. Vorerst hält sie mir den Rücken frei und lässt mich die Eindrücke verdauen.

Danach beginnt ein neuer Zyklus des uns selbst Gebärens unter dem Schuztmantel der Leere.

8 Kommentare zu “Das leere Gesicht der Dissoziation

  1. Liebe Sophie,
    diesen Post habe ich eben erst gelesen. Er hat mich sehr berührt, deine Fähigkeit zur Assoziation, diese Auseinandersetzung, der Leere nahe kommen, sie greifbar machen und zu einer Freundin, sie wertzuschätzen und über das Bild mit ihr in Kontakt zu treten und ihre Hilfe anzunehmen. Ich finde das wunderbar und deine Worte zauberhaft!
    Mit diesen Bildern hilfst du auch Unos, denn auch wir haben so Anteile von uns, so innere Kinder, mit denen wir oftmals schwer in Kontakt kommen. Und es ist soviel einfacher einen Bezug herzustellen, wenn man ein liebevolles Bild im Kopf hat. Das hat mich auch nochmal an meinen Weg erinnert.
    Vielen Dank!
    Ganz liebe Grüße,
    CePunkt

    • Hallo CePunkt,
      jetzt musste ich den Beitrag erst mal selbst nochmal lesen, weil er doch schon länger her ist und ich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte, worum es da ging. 😊

      Es freut mich sehr, dass dir das Bild gut tut und hilft etwas einzuordnen. Für uns ist es total schön, wenn „Unos“, wie du, ihr Erleben mit uns teilen. Dann können auch wir besser verstehen, wie das bei anderen Menschen so läuft. Danke für’s teilhaben lassen!

      Ganz liebe Grüße zurück,
      Sofie und die bunten Schmetterlinge 😊🦋

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