
Gerade sind wir auf unserem Balkon angekommen und haben uns gemütlich eingerichtet. Ein Teller mit Toast, kaltes Wasser und die Beine in horizontaler Stellung kann der Tag seinen Ausklang finden. Von der Gartenparty der Nachbarn klingen dumpfe Bassbeats an unser Ohr. Während ich den ganzen Tag vor Schweiß klatsch nass war, frage ich mich nun tatsächlich, ob es mich im lauen Abendlüftchen ohne Weste fröstelt. Vorstellen könnte ich mir auch einen dicken, kuscheligen Wollpullover, aber das wäre wohl übertrieben. Immerhin zeigt das Thermometer noch knapp 25 Grad. Kurze Zeit überlege ich, ob meine gefühlte Temperatur von der tatsächlichen aufgrund eines Triggers abweicht. Dann komme ich in den Moment zurück und lasse die letzten Tage gedanklich Revue passieren.
Die Wiesenblumen schaukeln neben mir im Wind. Gestern erst haben sie sich mit meinen Emotionen verbunden und sind wortgemalt auf ein Blatt geflossen. Ihre Blüten bedeuten mir gerade die Welt und meine Welt dreht sich um sie und die Bedeutung, die sie darin für mich haben. Ihre Seele hilft unserer zu heilen. Sie sind ein Geschenk an unseren Schmerz, der sonst nicht wüsste, wie er Ausdruck finden sollte. Nebenan schlingt sich eine Clematis in die Höhe. Immer wenn ich sie sehe, muss ich an Bachblüten denken. Im Gegensatz zu ihren medizinischen Verwandten erstrahlen ihre Blüten allerdings in tiefem Pink-rot und wir freuen uns über jedes kleine Blättchen, das sie dazugewinnt. Aufmerksam begutachten wir sie jeden Abend und sind erstaunt, über den schnellen Zuwachs. In der Tat, bringt sie uns durch ihre Präsenz oftmals in die Gegenwart zurück.
Während allerlei Flattertier um unseren Kopf schwirrt, eine Mücke versucht eine Ader an unserem Bein anzuzapfen und die Autotüren der Nachbarn hektisch zuschlagen, wird uns der Kampf der letzten Wochen neu bewusst. Es ging um Hilfe und wer für uns da sein könnte und die gleichzeitige Angst, vor Unterstützung, um Erinnerungen und Flashbacks, um tiefe Verzweiflung und persönliche Durchbrüche. Von Freude bis Leid waren alle Facetten vertreten. Die gefühlt nie enden wollende Sicherheitsfrage zerrte an unseren Nerven. Auch wenn wir uns längst außerhalb des Täterkreises bewegen und guten Abstand gewinnen konnten, so bleibt es gerade in Krisenzeiten doch ein beständiger Kampf gegen alte Indoktrinierungen. Manchmal rückt dann der Schritt zurück zu den Tätern näher, als es uns lieb ist.
Für heute ist der Kampf vorerst zu Ende. Noch ein paar liebe Worte mit unserer besten Freundin am Telefon wechseln, ein Eis zum Nachtisch essen und dann geht’s ab ins Bett. Nächte sind derzeit oftmals „erkenntnisreicher“ im Bezug auf vergangene Traumata, als es uns lieb ist. Wir sind gespannt, wie wir morgen aufstehen werden. Jeder Tag ist eine Wundertüte und manchmal sind Konfetti drin, mit denen man vorher gar nicht gerechnet hat.
Liebe Sofie,
du bist so eine Starke!
Ich wünsche dir gaaanz viele gaaanz bunte Konfettistückchen und ein bisschen von deren Leichtigkeit, wenn sie so durch die Luft wirbeln. Und viel Freude daran, den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen! :o)