Sommernacht und quere Gedanken

Kurz vor Mitternacht, immer noch 27 Grad auf dem Balkon und sternenklarer Himmel. Der Abend geht mit einem Lächeln zu Ende. Eine Grillparty mit Bekannten, war der perfekte, leichtfüßige Ausklang für diesen brüllendheißen Sommertag. Im Grunde könnte man einfach den Stempel „Gut“ darunter setzen, weil alles irgendwie perfekt lief. Erfüllende Arbeitsaufgaben und ein bisschen echtes Social Networking zu später Stunde. Das schöne Gefühl direkt hinter der Fassade fühlt sich sogar ausnahmsweise echt an und nicht nur wie ein maskenhaftes Funktionierroboterüberbleibsel. Aber kennt ihr das, wenn trotzdem irgendwo ganz weit innen, kaum greifbar und schon gar nicht zuzuordnen, ein undefinierbares Empfinden anklopft, dass da noch etwas anderes ist?

So geht es mir zumindest gerade. Alles ist gut und gleichzeitig ist da noch etwas. Es ist nicht schlecht, aber auch nicht so gut, wie mir grade eigentlich ist, obwohl mir wirklich wohl ist. Es ist alles und nichts. Es ist, als träfen sich undefinierte Zustände auf einem Kontinuum von extrem mies bis super toll zu einem Urknall und übrig bliebe verwirrender Wackelpudding. Der schmeckt zwar, aber die enthaltenen Bitternoten kribbeln ganz subtil auf der Zunge und stellen die süße durch die Hintertür in Frage. Das aber nur dann, wenn man bewusst davon schleckt. Sonst lassen sie sich ganz leicht übergehen. 

Was ich mich frage, wenn ich versuche mich dem Innen anzunähern: „Wie stark dissoziiere ich gerade?“ Fakt ist, dass ich auch das nicht wirklich greifen kann. Ist eine Außenperson in dem Moment dissoziativ, wenn sie sich selbst doch gut spürt und nur die Anderen nicht? Denn im Grunde fühle ich gerade alles, nur keinen Schmerz. Der scheint hinter einer Wand zu sein. Ich kann an die Traumata denken und es macht nichts mit mir. Ich weiß darum, aber sie berühren mich nicht. Ok, vermutlich ist das Dissoziation. Derart kognitiv fixiertes Wissen schreit nach Zweifeln. Jetzt nicht! Ich kenne das Spiel mittlerweile schon. Es taucht immer dann auf, wenn Erinnerungen nicht auf allen Sinnesqualitäten umfassend genug auftauchen, um für das Alltagsbewusstsein als Erinnerung erkennbar zu werden. Luxushaft sind wir vom Hippocampus verwöhnt immer alle Qualitäten einer Situation gleichzeitig parat zu haben. Bild, Ton, Affekt und Co. Was so nicht funktioniert, kann keine Erinnerung sein, oder!? Einen Gedanken lang finde ich es beeindruckend, wie sehr man von Konventionen bestimmt ist und alles was nicht passt aussortiert. Zack, fliegt das Trauma raus – nicht, weil es nicht als Erinnerung vorhanden ist, sondern weil die Traumaerinnerung anders ist und das verunsichert das Gehirn in seinem Schubladendenken, das es aus den viel gewöhnlicheren Alltagssituationen erstellt. Am Tag ist der Mond nicht da, weil ihn die Umstände unsichtbar werden lassen. 

In der Regel ist es bei Alltagserinnerungen nicht notwendig in eine bestimmte Körperecke zu fühlen, um ihren Klang überhaupt wahrzunehmen. Im Bezug auf den erlebten Schrecken jedoch, passiert mir das relativ oft. Ich muss bewusst hinspüren, im Gefühlsnebel eine diffuse Verkrampfung, etwa in der Schulter, als Indiz wahrnehmen und nach innen fragen, was los ist. Muskeln zeichnen ihre Bilder lange vor dem Verstand. Jedes Mal stelle ich fest, dass ich mich viel schwerer damit tue, wenn ich zwar jede Berührung oder den Schmerz von damals ganz eindeutig körperlich spüren, nicht jedoch sofort mit den Bildern der Augen verknüpfen kann. Das Trauma malt Gefühlsbilder, um sichtbar zu werden und hält die sichtbaren Bilder hinter einer Barriere zurück. Wie viel besser würden sich Traumaopfer wohl von Anfang an glauben können, wenn Kinder lernen würden, dass man Gefühle ernst nehmen darf und Erinnern in der Reihenfolge von Emotion zu Kognition funktioniert und nicht umgekehrt? 

Langsam wird dem Tag frisch. Voll mit Gedanken zieht es mich kurz nach Mitternacht in die aufgeheizte Wohnung. Im Bett werden wir wohl noch etwas weiter nachsinnen. Vielleicht kann ich dem Teil, der da und doch so fern ist, zumindest sagen, dass ich ihn sehen möchte, so gut ich kann. Für den Anfang. Bis mein Bewusstsein auf sein Wissen vertraut. 

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3 Kommentare zu “Sommernacht und quere Gedanken

  1. Ach Sofie…. Mal wieder meinen dank für deine Worte. Für Deine Worte, die meine sein könnten, ich sie aber nie so auf den Punkt hätte bringen können.
    Zitat: „Derart kognitiv fixiertes Wissen schreit nach Zweifeln.“
    Ja! Ja so ist es. So ist es hier fast permanent.
    Und auch, wenn ich nie aktiv Zweifel und erstmal alles, was bei mir ankommt ernst nehme, ist da immer dieses eigene kleine Gefühl, dass vehement festsitzt und alles unecht anfühlen lässt.
    Ja, auch das vermutlich irgendwie ein Schutz.
    Aber die Form der Dissoziation, die du hier gerade beschreibst…ja absolutes ja so ist es.
    Also danke (mal wieder) fürs Worte schenken.
    ❤ M.

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