
Es war dunkel. Von der Decke hingen knorrig verästelte Fäden. Vom Eingang aus konnte man kaum in das Innere sehen. Manch einer hätte ihn wohl mit einem Mauseloch verwechselt. An den Wänden lugten grobe Poren aus der feinen Lehmschicht. Allerlei Kriechtiere belebten das Heim. Feucht und erdig roch es in den kleinen Höhlen tief im Wurzelwerk. Pilzmyzele durchspannten das Wohnzimmer wie silbrig leuchtende Vorhänge. Kalt umhüllte Erde die unterirdischen Gebäude. Franz fühlte sich dort besonders wohl. Direkt unter dem Fliegenpilz lag seine Wohnungstüre. Gemeinsam mit Frau und Kind war er vor vielen Jahrtausenden hier eingezogen. Seine rote Zipfelmütze hielt ihn warm. Seit Generationen sorgte er mit seiner Zunft als Zwerg für das Leben unter der Erde. Selten kam er an die Oberfläche. Meist geschah dies nur dann, wenn er in den Garten direkt gegenüber des Weges huschen wollte, um etwas Gemüse für die Zubereitung einer köstlichen Suppe zu holen. Wie eine Tarnkappe formte sich dann sein Hut zu einem roten Pilzschirm mit weißen Tupfen. Nur wenige Menschen bemerkten, dass es sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Pilz handelte. Die Welt war sein Gewächshaus. Sie bot ihm Lebensraum und alles was er für sein Glück brauchte. Die Währung von Mutter Erde lies sich nicht fälschen. Sie lächelte „Danke“ für seine Arbeit und sah mit dem Herzen. Jedes Wesen trug und nährte sie. Franz freute sich, wenn er ihr im Gegenzug helfen konnte, indem er Wurzelstränge entknotete, Regenwürmer fütterte, die Ernte pflegte und unachtsame Menschen von ihrem Inneren fern hielt. Zu Mittag zauberte er sich herzhaftes Wurzelgemüse. Möhren sind jodhaltig. Das stärkt seine Kräfte. Und wenn er mit Frau und Kind lachend am Esstisch saß, den sein alter Baumfreund ihnen mit der Wurzel formte, dann vergaß er für einen Moment alle Sorgen. „Die Welt ist wunderbar beseelt“, gluckste er mit einem Schluck Beerenschnaps auf der Zunge seinem Zwergennachwuchs zu. „Seele sieht man mit dem Herzen. Der Verstand ist für das wesentliche blind.“

Wer Lust hat bei den ABC-Etüden auch mitzuschreiben findet alle weiteren Infos hier bei Christiane.
IST DAS TOLL!! Ein ganz wunderbarer Beitrag, ich kann mir Franz in seinem Heim richtig bildlich vorstellen. Vielen Dank für diesen kleinen Ausflug in sein Reich. Du schreibst fantastisch!!
Vielen herzlichen Dank! ❤
Ich war auch fast traurig, als ich mit Franz nach 300 Wörtern zum Ende kommen musste, weil ich so in dieser Wurzelwelt war. 🙂
Wundervoll!!!
Dankeschön!😊
Ja, amen, wirklich. Der Verstand begreift oft nicht, was er sieht, weil es Dimensionen hat, die ihm entgehen.
Dabei müssen Herz und Verstand zusammenarbeiten, wenn der Mensch ganz sein soll …
Danke dir, gefällt mir sehr. ❤️
Liebe Grüße
Christiane 😁😺🌧️
Wie schön, dass sie dir gefällt!😊
Danke für die liebe Rückmeldung!
Die Natur ist im Bezug auf die Zusammenarbeit von Herz und Verstand immer wieder bereichernd.
Liebe Grüße,
Sofie
Entzückender Geschichte…
Dankeschön!🤗
zauberhaft und nachdenklich
🤗<3
Ach, was für eine schöne Geschichte, die alle unsere Sehnsüchte nach ein wenig Glück und Zufriedenheit umspannt.
Beerenschnaps habe ich schon, mir fehlt noch die Tarnkappe. Weiß jemand, wo man die bekommen kann?
Danke dir!😊
Ui, mir mangelt’s am Beerenschnaps.😅Tarnkappen hätte ich in unterschiedlichen Ausführungen im Kopfkino zu erwerben.😉
Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 43.44.19 | Wortspende von Café Weltenall | Irgendwas ist immer
Die perfekte Gutenachtgeschichte für meinen Abend. 🙂 Wirklich schön geschrieben.
Grüße, Katharina
Oh, das freut mich sehr! Ich hoffe du hattest schöne Träume! 🙂
Liebe Grüße,
Sofie