Die positive Sicht der Dinge – Weshalb es einen Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität von persönlichen Stärken gibt

Wir waren von Lunis Beitrag zu Stärken durch Traumatisierung sehr bewegt. In unserem letzten Artikel haben wir ihn deshalb verlinkt. Je länger wir darüber nachdenken, umso mehr fällt uns dazu ein. Das Thema zeigt sich als komplexer, als ich es anfangs wahrgenommen habe. Deshalb möchte ich mich hier noch einmal detaillierter dazu äußern.

Wenn man zu einer Situation eine positive Sicht entwickeln kann, kann die Situation an sich grundsätzlich nicht positiv sein. Auf irgendeiner Ebene wirkt sie negativ auf das Individuum ein. Sonst müsste man sich nicht besonders darum bemühen zu einer anderen Sichtweise zu kommen. Positive Aspekte in der größten Misere zu finden mag der momentanen Bewältigung dienen. Schwierig wird es dann, wenn die negativen Inhalte der betont optimistischen Sichtweise langfristig zum Opfer fallen, weil sie dann das Gesamtbild und damit die tatsächliche Bewältigung verzerren. Sage ich mir etwa, dass andere Menschen es derzeit deutlich schlechter haben als ich, kann mich das für den Moment darin unterstützen meine Situation anzunehmen und mir Hoffnung schenken, dass sie zu bewältigen ist. Problematisch wird es dann, wenn ich vor lauter „Positiv Thinking“ meine eigenen Gefühle von Traurigkeit und Angst verdränge, weil ich sie dann nie wirklich verarbeiten kann.

Ähnlich verhält es sich mit persönlichen Stärken. Stärken braucht man um gesellschaftlich definierte Schwächen auszugleichen. Würden wir als Gemeinschaft davon ausgehen, dass alles an einem Mensch gut ist, wie es ist, gäbe es keine Schwächen und damit auch keine Stärken mehr. Wir wären schlicht mit unserer Menschlichkeit gut wie wir sind. Stärken positiv zu bewerten, bedeutet also auch andere Teile in sich abzulehnen und mit sich im Krieg zu stehen. Nun haben die Lunis in ihrem Beitrag sich speziell damit kritisch auseinandergesetzt, ob durch Traumatisierungen persönliche Stärken durch die Bewältigung entstehen. Durch die Hintertür postuliert die Sichtweise durch einschneidende Erlebnisse besondere Fähigkeiten zu entwickeln nach meinem Empfinden, dass man auch besonders starke Schwächen in sich überwinden musste und dass man sich nicht zutraut ohne die Gewalt ebenso tolle Talente zu besitzen. Dass man etwa genau so empathisch wäre oder auch im größten Stress einen kühlen Kopf bewahrt. Von sich aus, einfach nur so, ohne Kampf. Weil man gut ist, wie man ist. Feuer braucht kein Zündholz um zu existieren. Es wäre auch da, wenn es diese Erfindung nicht gäbe. In seiner naturbelassenen Form. Kurz: Wenn wir nach dem Geschenk hinter den Gewaltfolgen suchen, schreiben wir der Gewalt positive Aspekte zu und nehmen uns die eigenen Talente weg, weil wir sie ab sofort nicht mehr aus uns selbst, sondern durch die Umstände erhalten. Weil ich die Fähigkeit XYZ als positive Ressource entwickle bin ich wieder Lebenswert und ein besserer Mensch. Dabei nimmt die Gewalt die Chance sich selbst als Vollkommen zu entdecken. Ich hoffe, was ich ausdrücken will ist einigermaßen verständlich!

Wir plädieren seit Jahren für die genaue sprachliche Trennung von Ursache, Zusammenhang und Wirkung im Traumakontext. Sprache ist Macht und es ist wichtig so uneingeschränkt negativen Kontexten wie Gewalt keine positiven Aspekte zuzuschreiben, weil wir sie damit beschönigen und sei es noch so indirekt! Letztlich ist es ansonsten ein kleiner Schritt zu der Annahme die erlebte Gewalt habe einem nicht geschadet. Es gibt einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen Korrelationen (Zusammenhängen) und Kausalitäten (Ursachen). Ein Beispiel zur Verdeutlichung: 90 % aller Menschen die Schuhe ab Größe 43 tragen sind männlich. Das heißt also es gibt einen Zusammenhang zwischen der Schuhgröße und dem Geschlecht (Korrelation). Gleichzeitig ist die Schuhgröße aber nicht die Ursache für das männliche Geschlecht. Niemand wird zum Mann, weil er so große Schuhe trägt (Kausalität). Übersetzt für den Traumakontext bedeutet das nun folgendes: Es mag unter den Betroffenen von Gewalt überwiegend viele Menschen geben, die durch besondere Fähigkeiten beispielsweise in der Krisenbewältigung auffallen. Vermutlich schon allein, weil ihr Leben das einfordert. Gleichzeitig ist ihre Traumatisierung jedoch nicht die Ursache für diese Fähigkeiten. Kreative Menschen wären auch ohne traumatische Vorschädigung kreativ veranlagt und stark kognitiv begabte Menschen hätten den Persönlichkeitszug auch ohne Gewalt. Die Traumata haben höchstenfalls dazu geführt, dass sie andere Ressourcen in sich gar nicht entdecken konnten, weil diese Fähigkeiten als Überlebensmuster am stärksten gefordert waren. Sie haben dadurch also Einschränkungen in anderen Bereichen erlitten und lebenssichernde Inselbegabungen ausgeprägt. Da gewesen wären die Ressourcen aber schon vorher.

Was ich damit sagen will: Um etwas zu lernen, braucht man keine Gewalt und keine verheerenden Schmerzen. Dafür ist ein wertschätzendes Umfeld weit besser geeignet, weil es den Raum bietet sich selbst zu finden. Ressourcen stecken von Geburt an in den Menschen. Gewalt ist und bleibt völlig sinnlos! Wenn wir uns für Bewältigungsmechanismen loben, die wir durch extremen Stress erworben haben, vergessen wir darüber manchmal leicht, dass es diesen Stress gar nicht geben sollte. Wir sind alle außerordentlich und völlig gut so wie wir sind. Dazu muss uns das Leben nicht erst machen. Das ist ein Geburtsrecht! Das wir das nicht einfach so anerkennen können, ist der Schaden aus den Gewalttaten, denen wir die Entwicklung mancher positiven Eigenschaften zuschreiben. Das sollte zu denken geben…

5 Kommentare zu “Die positive Sicht der Dinge – Weshalb es einen Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität von persönlichen Stärken gibt

  1. “ Wenn wir nach dem Geschenk hinter den Gewaltfolgen suchen, schreiben wir der Gewalt positive Aspekte zu …”
    und
    „ Letztlich ist es ansonsten ein kleiner Schritt zu der Annahme die erlebte Gewalt habe einem nicht geschadet.“

    Ja! So hätte ich das gerade nicht ausdrücken können. Der Gedankenschritt hakte noch irgendwo. Vielen Dank. Großartig geschrieben.

  2. Ich glaube, das erkennt man alleine schon hieran, dass nicht grundsätzlich jedes Gewaltopfer stark ist/wird, sondern sogar sehr viele erst garnicht überleben oder derart zugrundegehen, dass sie kaum noch existieren können.

    Sicher, ist es der Punkt der „Mitgift“; jenem, das man bereits bei der Geburt mitbringt.
    Und klar, kann ich heute sagen, mein Leben hat mich stark werden lassen in Bezug auf solch große Erschütterungen wie auch Corona.
    Ich war Solchem über Jahrzehnte ausgeliefert – wenn auch in anderer Form. Ich bin „trainiert“.

    Dass hierdurch viele andere Eigenschaften, Gefühle und Schätze in mir erst garnicht entwickelt; gefühlt; gelebt werden konnten, steht außer Frage.
    Man hat mich zu einem Elite-Kämpfer ausgebildet – aber alles andere verkümmern lassen.
    Es ist meine Aufgabe, nun auch alles andere in mir noch zu entdecken und ins Leben zu integrieren.

    Und selbstveständlich wäre es schöner, könnten Stärken in Liebe wachsen, statt in Gewalt.
    Aber können wir die Welt verändern?
    Gewalt stoppen?
    Sie ausmerzen? Ganz und dauerhaft?

    Ich und alle Menschen haben nun einen guten Grund, all dieses in sich selbst zu suchen.
    Ich denke viel. Fühle. Auch über eure Gedanken.
    Danke.
    Liebe Grüße

  3. Danke für die klare AnSprache der Thematik. Sie grummelte mir im Bauch herum und ich konnte es nicht auf den Punkt bringen.

    Ja auch ich/wir hätten unsere Fähigkeiten in einem liebevollen wertschätzenden Umfeld besser entwickelt.
    Obwohl wir oft kleine schöne Momente im Leben entdecken, halte ich nichts von dem blöden Spruch: „Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Zitronenlimonade daraus.“ In unserer Kindheit gab es weder Zucker noch verdünnendes Wasser dazu.
    Marie

  4. Liebe Sofie, Du hast m.e. mit all den Punkten und Überlegungen recht. Es ist eine „Inselbegabung“, die wir aus Gründen von erlittener Gewalt entwickelt haben und wenn wir sie nicht aus der Gewalt und Überlebenswillen heraus entwickelt hätten, wäre sie mit Sicherheit im förderlichen Klima und ohne Gewalt in anderer Weise irgendwie zum Vorschein gekommen – vielleicht nicht als Inselbegabung (die ja, wie Du schon anklingen ließest nicht unbedingt allgemein als hilfreich eingestuft werden, es geht bei einer Inselbegabung meist mit defizitären, unentwickelten Bereichen oder Einschnitten einher) sondern mehr als Fähigkeit in der anerkannten Seite der Gesellschaft benutzbar (vielleicht Durchsetzungsfähigkeit als Chef, Politiker, Gründung eines gut florierenden Unternehmens etc.). In Krisenzeiten jedoch ist sie garantiert sehr nützlich eben weil -wie Schwurbel-Schworbs schon erwähnten – wir dafür trainiert sind. Da sind wir aber schon bei dem Punkt der Erfahrungen angelangt. Es steht für mich ohne Zweifel fest, dass Erfahrungen ein großer Teil von Ressourcen ausmacht und zum Thema Corona und Krise fällt mir dazu ein, dass ich Menschen, die damals einen Krieg erlebt haben (ist ja auch negativ und obwohl sie zu der gefährdeten Gruppe gehören) aus dieser Generation sehr oft sagen höre: Ach wir haben schon soviel durchgemacht, das schaffen wir auch noch…. oder ähnliches.
    Und was ich zu dem Thema noch als zugehörig empfinde ist: Man weiß inzwischen – nachgewiesen – dass positive Sichtweisen, (auch der Glaube und Hoffnung) zu mehr Gesundheit führen und stete negative auf Dauer krank machen. LG

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