
Der Wind weht frisch. Zu frisch um auf dem Balkon in eine gemütliche Stimmung zu kommen. Am liebsten würde ich Wärme erzwingen. Leider ist das nicht möglich. Natürlich könnte ich mir ein Feuer schüren oder einfach den Holzkohlegrill anheizen. Vermutlich würden meine Nachbarn dann allerdings denken ich bin in einer esoterischen Krise übergeschnappt. Warum sonst sitzt eine Frau am Sonntag Mittag auf dem Boden in der Sonne, wirkt dabei einigermaßen abwesend, wärmt ihre Hände leicht vor und zurück wippend über der Glutschale, trinkt komisch duftenden Tee und denkt überhaupt nicht daran Fleisch und Würstchen aufzulegen? Ich erspare mir die komischen Blicke, fühle mich aber gedanklich von dieser Vorstellung belustigt. Das könnte die Räucherschale schlecht hin werden, die uns alle von den Maßnahmen der Corona-Pandemie befreit, mich allerdings wieder ein Stückchen näher an die Psychiatrie rückt.
Meine Gedanken fliehen dahin. Sie suchen sich selbst in den Zeilen, die meine Finger klamm auf‘s Papier zeichnen. Im Lesen fühlen sie die Worte vom Blatt auf den Körper zurückprallen und spüren dazwischen etwas von sich selbst. Wir sind in Beziehung – mit der Welt um uns und vor allem in uns, wenn wir sie mit Buchstaben nachmalen. Der Verstand lenkt unsren Pinsel, aber die Farben fließen durch Emotion hinein. Vor einigen Jahren schrieb ich zunächst widerwillig eine Studienarbeit über Sprache in der Waldorfpädagogik. Rudolph Steiner sprach davon Schrift und Worte emotional empfinden und mit dem gesamten Körper erfassen zu müssen, um sie wirklich zu verstehen. Er erfuhr diese Form des Ausdrucks als eine Art beseeltes Wesen. Selten waren wir von etwas so berührt, wohl auch, weil es dem so nahe kommt, wie wir selbst Sprache leben. Häufig verfolgen wir beim Schreiben unser Körperempfinden und versuchen möglichst nahe an diesem unsere Worte entstehen zu lassen. Die intuitive Komponente formt die Kommunikation. Ein Stück Sein in Wort und Schrift.
Ich blicke durch die Balkontür nach draußen. Die Mageriten wippen im Wind. Vögel pfeifen, zwitschern und singen lautstark. Wir vertiefen uns etwas in uns und müssen uns vorstellen, wie es wohl wäre, wenn die Vögel die Rockband der Natur wären und die Wiesenblumen ihre Groupies auf einem Konzert. Im Moment headbangen sie ganz schön. Kann Blütenstempeln schlecht oder schwindlig werden? Wer kümmert sich um die Bienen, die zu viel Pflanzenstaub geschnupft haben? Im Kopfkino zaubere ich mir Ausnüchterungszellen im Bienenstock mit Honig gegen den Kater.
Ein kleiner Hunger zeigt sich. Kaffee alleine macht auch nicht glücklich. Ich packe Sandwichtoast mit Wurst in den Toaster. Mir ist nicht nach kochen. Möglichst einfach und schnell soll mein Bauch befriedigt werden. Während wir die letzten Zeilen tippen hören wir es im Hintergrund leicht brutzelnd rauschen. Pfingstsonntag… Ich wünschte wir wären schon eine Woche weiter. Die Erdbeeren blühen. Die Sonne scheint. Und im Herzen da weiß ich meine Welt ist real – innen und außen. In jedem Ausschnitt. Manche Teile sind besser zu ertragen, andere weniger. In jeder Welt gibt’s Honig.
Das erinnert mich ein wenig an einen Spruch den ich gelesen habe.“ Ich schreibe was ich denke, damit ich lese was ich fühle“
Das ist eine ganz wundervolles Zitat, das den Nagel auf den Kopf trifft! Vielen Dank für‘s teilen! 😊🦋
Was für ein schöner Text! Und wie treffend Du den Zusammenhang zwischen Körperempfinden und Schreiben beschrieben hast!
Das ist wahrhaft eine Symbiose, allerdings eine, die manchmal mächtiger als beispielsweise ich. Dann etwa, wenn die Emotionen, die „Symptome“, so stark werden, dass ich nicht (mehr) zu schreiben vermag, wenn es zu voll, zu viel wird, wie ein Überlaufen. Dabei müssen es nicht immer nur Trauer oder Tränen oder Ängste sein, die überlaufen. Es kann ALLES sein.
So ist das halt, wenn man ALLES fühlt.
Ich hoffer, Ih Schmetterlinge braucht nie eine Ausnüchterungszelle 😉, aber ganz viel unbelasteten, heilenden, zarten Honig, den wünsche ich Euch.
Viele ganz liebe Grüße! 🌷🌞
„Im Kopfkino zaubere ich mir Ausnüchterungszellen im Bienenstock mit Honig gegen den Kater.“
Liebe Sofie, danke für diesen herzhaften Lacher, den Du uns hier beschert hast. Wir sind immer wieder über Deine witzigen, sprachlichen Bilder erfreut und kichern im Innen herzhaft darüber… DANKE DANKE DANKE
Viele Grüße aus der Himbeersplitterei