Die Tage nach der Stromfolter

Als die Qualen passierten, war ich bereits erwachsen und mitten im Ausstieg. Wir hatten gute Helferinnen gefunden und drohten den Tätern völlig zu entgleiten. Diese beschlossen einen Versuch zu unternehmen uns mit ausreichend Folter wieder auf Spur zu bringen. Nackt gefesselt fügte man uns unter anderem Stromschläge in Körperöffungen zu. Weil mir die Tage danach gerade besonders im Gedächtnis sind, versuche ich hier in Worte zu fassen, was sich für mich immer noch unaussprechlich anfühlt.

Irgendwann gingen die Lichter aus. Das Bewusstsein verblasste. Am Morgen danach komme ich zu mir. Ich weiß nicht, ob ich noch lebe oder gestorben bin und nur Träume, dass ich lebe. Mein Körper steht in Flammen. Alles brennt. In meinem Gehirn ist enorme Hitze. Jede Nervenfaser glüht. Zumindest fühlt es sich so an. Wellenartig laufen Schauer über meinen Körper. Der Schmerz ist unerträglich. Mein Unterleib fühlt sich an, als hätte man mir die Eingeweide bei lebendigem Leib herausgetrennt. Wie sehr würde ich mir nun einen Arzt wünschen und Schmerzmittel. Doch so einfach ist das nicht. Denn was soll ich dem Arzt erzählen von dem was war? Egal wie ich es auch anstellen würde – vermutlich würde ich damit eher ein Ticket in die Psychiatrie gewinnen, als dass mir jemand glaubt. Die Bilder des letzten Tages verschwimmen im Kopf. Rücken näher und verblassen. Um den Rhythmus ihrer Bewegungen, formen sich auch die Schmerzen. Sie jagen durch den Körper und verschwinden in Dissoziation. Alles pulsiert. Ich fühle mich wie in starker Trance und bin unfähig auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Nur dieses Brennen. Dieses unendliche Brennen.

Die Schmerzen werden auch in den nächsten Tagen nicht besser. Im Mund schmeckt alles unerträglich metallisch. Die Zähne und Zahnwurzeln wimmern überreizt. Mein Körper besteht nur noch aus Muskelkater. Die Krämpfe durch die Stromschläge kommen immer wieder zurück. Am dritten Tag habe ich Fieber. Meine Nieren tun weh. Wir müssen zum Arzt. Bei der Beschreibung unseres Zustandes beschränken wir uns auf die Symptome ohne ihre Ursachen zu benennen. Entsprechend schlicht fällt die Behandlung aus. Schmerzmittel und Antibiose. „Eine heftige Blasenentzündung vermutlich.“ Zumindest sinkt unter den Antibiotika das Fieber. Tiefe Erschöpfung macht sich breit. Noch einen Tag später setzen starke Blutungen ein. Ich kann im Nachhinein schwer sagen, woher sie kamen. Bei einer Gynäkologin bin ich damals aus Angst nicht vorstellig geworden und war froh, dass sie sich schnell von selbst auch wieder legten. Je mehr wir uns in den Folgetagen darum bemühen in den Alltag zurückzukehren, umso deutlicher wird, dass die Folter in unserem Gehirn ihre Spuren hinterlassen hat.

Unsere Welt hat große schwarze Löcher. Ich fühle mich wie eine neunzigjährige mit Demenz. Nahestehende Bezugspersonen erkennen wir teilweise nicht wieder. Eigentlich eingespielte Handlungsabläufe, wie Essen kochen oder trinken, muss ich neu lernen. Ich habe Mühe meinen Köper überhaupt zu steuern. Meine Glieder gehören nicht mehr zu mir. Man könnte mich völlig neu zusammensetzen – ich würde es nicht merken. Meine Körperwahrnehmung gleicht die einer zersägten. Alles ist voneinander getrennt. Arme, Beine, Rumpf… Alles schwebt irgendwie frei im Raum. Ich bin dankbar, dass es jemanden gibt, der mir geduldig immer wieder zeigt und erklärt, wie die Dinge funktionieren. In vielen Alltagssituationen laufen mir Tränen der Überforderung, weil ich antworten in meinem Gehirn suche, sie aber einfach nicht finden kann. Gleichzeitig bemühe ich mich darum nach außen so normal wie möglich zu wirken. Die Stimmung ist fragil. Unser Nervensystem hat die Stabilität einer Pusteblume. Extreme Stimmungsschwankungen und Affektdurchbrüche beuteln mich. Ich versuche verzweifelt, die Erinnerungen zu distanzieren, denn wann immer sie auftauchen, schießt unerträglicher Schmerz in unseren Körper. Jede Zelle erzählt erneut von der Folter. Ich fühle mich tot. Weder habe ich etwas mit der Welt zu tun noch die Welt mit mir. Die Tage sind voll dichter Watte. Es dauert lange, bis sich die Nerven auch nur annähernd erholen – vor allem das unerträgliche Körperbrennen. 

Last but not least noch ein paar kurze Sätze zum Thema sichtbare Verletzungen: So gut wie null. Die Fesselauflagen waren breit genug, um nicht ins Fleisch zu schneiden und auch bei Gegenwehr den Druck gut zu verteilen. Blaue Flecke gab es zwar, allerdings nicht so massiv, dass man beim Anblick direkt auf heftige Gewalt schließen würde. Von der Stromfolter an sich sah man nach außen überhaupt nichts. Sie verursachte zwar extreme Schmerzen, hinterließ aber kaum Spuren. Ich weiß nicht, ob ein Gynäkologe damals an den Kontaktstellen Rötungen oder Verbrennungen hätte feststellen können. In ganz normalen Alltagskontexten war die Gewalt auf jeden Fall unsichtbar. 

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25 Kommentare zu “Die Tage nach der Stromfolter

  1. Keine Worte.
    Ich finde keine Worte, um mich auszudrücken, Trost, Wärme, Hilfe oder Beistand zu schenken.
    Nichts, das nutzt.
    Es tut mir Leid.
    Wie grausam sind Menschen…..
    Solche, die tun, nicht tun, nicht sehen und nicht verstehen.
    Absichtlich oder auch gar ohne es zu merken.

  2. Das ist wohl der erste Beitrag bei euch, den wir nicht lesen können… Sehr eindrücklich beschrieben, das geht nah. Ich wünsche euch sehr, dass es euch hilft das in Worte zu fassen, und auch anderen, die ähnliches erleben mussten und so sehen, dass sie nicht allein sind. Ja und ich hoffe, dass viele andere Menschen, ganz besonders Helfer, das lesen und begreifen, dass so etwas passiert. Ich kann mir nicht vorstellen, wie zusätzlich grausam es sein muss, wenn einem nicht nur so etwas angetan wird, sondern dann auch noch Unglaube zu erfahren.
    Ganz liebe Grüße ❤

      • Achje, das muss dir nicht leid tun. Haben dann aufgehört zu lesen, es ist also okay 🙂

        Es ist gut, wenn sich mehr offene Ohren für solche Dinge finden.
        Möcht auch Danke sagen, dass ihr euer Empfinden in Worten hier zeigt. Uns fällt es oft schwer so einiges in passende Worte zu packen, es macht Mut zu lesen, wie andere das machen und wir haben einige Formulierungen bei euch hier gesehen, die hier für uns passende Wortassoziationen ausgelöst haben. Ja… uns hilft es also auch, was ihr hier von euch zeigt.
        Liebe Grüße

  3. Ich möchte euch ein paar Worte da lassen, weiß aber nicht welche das sein könnten, die…”passend” sind, ich glaube nämlich, die gibt es nicht… Deshalb lass ich euch stattdessen wissen, dass ich euch gelesen habe, euch sehe und euch glaube, zweifellos (seit dem ich euch lese). Einen ganz lieben Gruß aus Österreich und ein bisschen Wärme, möcht ich euch noch virtuell da lassen, falls ihr das möchtet 🧡

    • Vielen Dank für deine lieben Worte!
      Es tut gut zu wissen, dass uns jemand glaubt. Über diese Rückmeldungen freuen wir uns jedes Mal erneut, weil sie zeigen, dass die Täter zumindest an dieser Stelle nicht recht haben. Deine Zeilen haben uns sehr berührt! Danke für‘s Lesen!

      Viele liebe Grüße,
      Sofie 😊🦋

  4. Ich habe den Text gelesen, der mich berührt hat, aber nicht mehr.Vielleicht mögen Sie ihn mit einer Triggerwarnung versehen. Ich übe gerade Deutsch mit einem Menschen, der sein Heimatland nicht nur des Krieges wegen verlassen hat, Er hat dort im Gefängnis Folter mit Strom erlebt und einen ganz besonderen Blick.

    • Danke für die Rückmeldung! Wir haben uns aus verschiedenen Gründen bewusst dafür entschieden auf dem gesamten Blog keine Triggerwarnungen zu setzen und darauf auch im letzten Artikel nochmal kurz hingewiesen. Das gilt auch für diesen Beitrag.

      Ihr Schüler hat sicher aus seinem Erleben eine ganz eigene Innenansicht zu dem Thema.

      Viele Grüße,
      Sofie

  5. Liebe Sofie, wie schrecklich, dass ihr das erleben mußtet. Das berührt uns und tut uns sehr leid und weh.
    Das was du schreibst wird hier wiedererkannt, wiedereinmal als hättest du bei uns vorbei geschaut um in uns hinein zu sehen. Bei all dem grausamen und schrecklichen tut es gut, dass du diese Rubrik eröffnet hast, es tut gut zu lesen, dass wir uns das nicht einbilden, dass es andere gibt die das auch erlebt haben obgleich es schrecklich und furchtbar ist.
    Fühle dich lieb gegrüßt und tröstend in den Arm genommen wenn das geht und ihr das mögt.
    Liebe Grüße
    Lisa

    • Liebe Lisa,
      ich würde mir einerseits wünschen, dass ihr das nicht kennt und bin gleichzeitig doch immer dankbar für euere Rückmeldungen!
      Geht es euch denn auch so, dass ihr zwar wisst, dass das genau so war, ihr gleichzeitig aber auch das Gefühl habt, das alles ist so surreal, dass man Angst hat wahnsinnig zu werden? Wir sprechen da grade in der Therapie viel darüber. Wir können uns gerade bei diesen Erinnerungen ganz schlecht mit unserem Körper verbinden und sehen uns da immer von außen und ganz weit weg. Das macht uns ein Gefühl, als würden wir Träumen, weil das alles so unwirklich wirkt.

      Liebe Grüße, eine liebe Umarmung und viel Trost zurück!
      Sofie

      P.s.: Dürfen wir euch mailen?

      • Liebe Sofie, wenn ich ehrlich bin sprechen wir darüber nicht. Wir erwähnen es höchstens, denken dann, das kann sowieso keiner verstehen, jeder/ wir denken wir lügen und übertreiben, eben weil es so unglaublich surreal ist. Wir rutschen immer wieder da rein, dass wir und das einbilden müssen obwohl das körperlich empfunden wird. Ich denke es ist so eine Verweigerung weil wir das noch nicht aushalten können, dass das wirklich stimmt. Ich glaube wir bräuchten mehr Raum, mehr Zeit um da ran zu kommen und eine Therapiestunde ist ein so begrenzter Raum, dass wir Angst haben danach völlig damit zusammen zu brechen und schlimmer noch wahnsinnig zu werden. Wir sind gerade dabei das so ganz langsam an uns alleine ran zu lassen. Irgendwie haben wir keine Lösung wie damit umgehen. Das ist so furchtbar und vernichtend….und ja wir haben schreckliche Angst wahnsinnig zu werden. Wahrscheinlich ist das genau der Grund warum wir dem so ausweichen. Dieses unwirkliche haben wir auch, aber irgendwie eine anderen Beschreibung dafür, aber dein unwirklich passt besser und erklärt hier gerade viel.
        Natürlich dürft ihr uns schreiben 🤗🤗 wir freuen uns immer sehr darüber!!
        Liebe Grüße Lisa

      • Hallo Lisa,
        die Therapiestunden sind schon immer recht knapp. Vielleicht wäre es möglich für solche Themen hin und wieder Doppelstunden zu planen? Ihr werdet ganz sicher nicht verrückt. Das ist nur der ganz normale Wahnsinn nach einem Leben mit extremer Gewalt. Alleine an die Erinnerungen zu gehen ist mutig. Gibt es denn vllt wenigstens eine FreundIn, die euch danach etwas mit stabilisieren kann. Ich finde es grade mal wieder ganz schrecklich, dass für Menschen mit diesem Hintergrund die Versorgung fehlt. 😬 Eigentlich solltet ihr da gut begleitet sein können.

        Wir werden euch dann mal eine Mail tippen. Kann nur noch etwas dauern.

        Liebe Grüße und viel Kraft!
        Sofie

  6. Hier kann ich nichts „Liken“…

    ♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡

    Unser Mitgefühl für Euer Leid…

  7. Auch wenn das jetzt komisch sich anhört, danke für diese Rubrik. Es hilft mir, weniger zu Zweifeln an den Erinnerungen die körperlich spürbar sind und auch in Bildfetzen. Oftmals zweifeln wir auch daran, weil keiner was an großartigem Spuren von Strom, Schlägen o.ae sichtbar hinterlassen hat.

    Es tut mir leid und gleichzeitig ist es “ gut“ zu lesen, ich bin nicht irre, auch wenn man nix sieht bzw.gesehen hat.

    Ich zweifle sooft noch, gerade wenn so brutale Sachen erscheinen dann bin ich gleichzeitig weg und suche Beweise das es nicht stattgefunden hat obwohl mein ganzer Körper schreit. Das dann anzuerkennen ist oftmals so schmerzhaft.

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