
Als ich aus dem Bad zurück komme, blicke ich am Morgen zum ersten Mal bewusst aus dem Fenster nach draußen. Eiskristallzauber fällt auf meine Netzhaut und malt mir ein Lächeln ins Gesicht. Die Sonne weckt langsam die schlafenden Lebensgeister. „Die Natur ist ein wunderbarer Künstler“, denke ich und schlürfe von meinem Tee. Ich greife zum Handy und fange ein paar der Eindrücke ein. Am Mittag schon werden die gefrorenen Wassermandalas von den Blättern geschmolzen sein. Als ich zurück ins warme Zimmer trete, fröstle ich innerlich. Nicht vor Kälte, sondern vor Anspannung. Eine Unterstützerin ist aus dem Urlaub zurück. Später werden wir sie sehen. Aber ob ich mich freue? Das Innen ist geteilter Meinung.
Während auf der einen Seite natürlich die Erleichterung groß ist, dass wir wieder jemanden sehen, mit dem wir offen über unsere Probleme sprechen können, reicht das Spektrum der Reaktionen aber auch bis hin zu verbitterter Wut und Groll. „Jetzt braucht sie auch nicht mehr kommen!“ oder „Soll sie doch einfach bleiben, wo der Pfeffer wächst!“ schimpft es immer wieder im Kopf. Gleichzeitig wird die Verzweiflung spürbar für so viele Wochen mit all der Not alleine klargekommen sein zu müssen. Als Alltagsperson ist mir die Wucht der Ablehnung zugegebenermaßen etwas unangenehm, weil sich bei mir schnell der Verstand einschaltet und das Verhalten der Helferin wohl zu rechtfertigen weiß. Schließlich hat sie ja nichts schlimmes oder verbotenes gemacht. Entsprechend muss ich mich zusammenreißen, um bei uns bleiben zu können und den Raum für unsere Gefühle nicht zu verschließen. Manchmal ist es schwer, wenn Emotionen jede Vernunft über den Haufen werfen. Weil ich aber in den vergangenen Jahren gelernt habe, dass Erklärungen nicht Helfen die Gefühle zu verstoffwechseln, bemühe ich mich darum alle Facetten zuzulassen und mir erst einmal zuzuhören. Und tatsächlich könnte man ja auch sagen, dass es scheiße ist mit Schmerzen alleine und im Stich gelassen zu werden, egal welche guten Gründe es gibt. Ich merke, dass die innere Diskussion wohl noch länger dauern wird.
Vermutlich werde ich der Helferin also nicht fröhlich um den Hals fallen, auch wenn manche kleinere Innens das sicher gerne täten, sondern sie einem frostigeren Empfang aussetzen müssen. Die wütenden Beschützer lassen meist keinen anderen Innenkontakt zu, bevor Verletzungen nicht geklärt sind und Überforderung durch Alleine sein fällt in diese Kategorie. Ich habe mir früher so viele Therapiestunden verbaut, indem ich den Frust im innen selbst abfangen wollte und nichts davon ausgedrückt habe, dass ich mir den Stress mittlerweile erspare. Irgendwann muss es ohnehin auf den Tisch, wenn wir uns auf die gemeinsame Arbeit weiter einlassen sollen. Solange Unsicherheiten zur Person im innen bestehen, können wir nicht vernünftig tiefer sprechen. Eine automatische Blockade hält uns davon ab. Blöd ist, dass es diese Blockade manchmal auch dahingehend gibt unsere Empfindungen auszudrücken, weil wir Angst haben, dass sich die betreffende Person dann auf nimmer wiedersehen vertschüsst. Wenn wir grundsätzlich Vertrauen gefasst haben, geht das zwar deutlich besser, als vor einigen Jahren am Anfang unseres Therapieprozesses, aber hin und wieder schnappt die Schweigefalle immer noch zu.
Ins innere Gespräch vertieft machen wir unsere Hausarbeit. Wäsche waschen und essen kochen werden vom Bewusstsein unbemerkt erledigt. Es wird wärmer. Das Eis schmilzt. Möge es auch bei unserem Termin möglichst schnell brechen.
Oh wie gut ich das verstehen kann mit dieser Dynamik, die du da beschreibst.
Die Gefühle zulassen und ihnen zuhören, scheint mir ein sehr sinnvoller Schritt zu sein, wenn es möglich ist.
Ich wünsch Dir, dass das Eis beim Termin möglichst schnell der Wärme weicht.
Liebe Sofie,
wie ich in dem anderen Post schon schrieb, finde ich es nicht gut, dass es keine Begleitung über die Feiertage bei Dir gibt. Und all Deine Gefühle sind deshalb völlig verständlich.
Und ich verstehe auch Deine Helferin, die die freie Zeit wahrscheinlich braucht, um sich abgrenzen, neue Kraft tanken und dann wieder mit Klient*innen wirksam arbeiten zu können.
Ich finde, Du solltest das Thema ansprechen, und vielleicht kann ein anderes Betreuungskonzept für die Zukunft überlegt werden.
Liebe Grüße
Carolin
Liebe Sofie!
Was du beschreibst … diese gewaltige Abwehr, dieser Aufruhr im Innen, die Vernunft, die diesen innenkindern erzählt, dass sie ja gar kein Recht haben, so zu empfinden, wie sie es tun. Die Angst, meine Therapeutin (vor einer Woche noch erlebt) zu verlieren, wenn „sie“ sich zeigen und äußern … ich kenne das so gut.
WIE schwierig das alles ist !!!
Ich habe es meiner Therapeutin dann doch erzählt, dass ich eine Kleine mitgebracht habe und die TOTAL sauer ist … und richtig rumzicken möchte. Dass da aber auch eine mit Verstand ist und eine, die eine riesige Angst hat, sie dann zu verlieren.
Die Therapeutin hat dann gesagt, dass ich die Kleine ruhig mal lassen solle – sie selbst LIEBE Rumzickerei.
Ich war so erleichtert … Auch wenn ich dann doch nicht zugelassen habe, dass die Kleine ihren Groll los wird – es hat gut getan, das alles auszudrücken und doch noch angenommen zu sein …
Ich wünsche dir sehr, dass du eine ähnliche Erfahrung machen kannst.
Hallo silvia1234567!
Du schreibst: Auch wenn ich dann doch nicht zugelassen habe, dass die Kleine ihren Groll los wird …
Weisst du was ? Ich finde, der Groll deiner Kleinen hat auf jeden Fall seinen Platz bekommen ! Denn du hast ihren Ärger wahrgenommen und das eurer Therapeutin vermittelt, so wie hilfreiche Erwachsene das tun sollten – bei Schwierigkeiten vermitteln, so wie wir Erwachsene in unserer Kindheit gebraucht hätten, damit wir zu vertrauen lernen. Das ist gar nicht immer einfach und klappt auch bei uns eher selten, intuitiv eine Lösung zu finden, also Hut ab!
Und so wie du alle benannt hast, die da waren, haben eigentlich sie alle einen Platz bekommen und wurden von eurer Therapeutin angenommen, oder ?
Wir haben sowas immer weg geschoben. Waren heute das erste Mal in der Ergo und redeten über Corona, Politik und Zahnarzt…
Als die Stunde dann fast um war, da merkte man, ja besser hätte man sie nicht verbraten können. Wir hatten nichts von, rein gar nichts. Standen an der Ausgangstür und dachten, das hätten wir uns auch sparen können…
Vielleicht ist es ja doch besser das anzusprechen was so schwer war die letzten Tage. Aber man musste ja alleine mit allem klar kommen. Jetzt brauche man auch keine Hilfe mehr… – Wenn es tatsächlich so wäre, wär das echt schön, nicht? Dann bräuchte man die ganze Ergo ja gar nicht. Und tatsächlich wird innen darüber nachgedacht wozu man das weiter machen soll.
Wenn man also reden kann, ist es bestimmt besser als es so zu tun wie wir, nämlich so als wär nichts gewesen, als bräuchten wir keine Hilfe. Dabei ging so viel hier ab…
Na ja, die Hoffnung ist gerade mal verschollenen und wir im ‚ist eh egal und bringt nichts‘ Modus.
Laber, laber…
Wir wünschen euch den Mut, es da sein zu lassen. Verstehen die Angst vor Verlust, die Diskrepanz zwischen Verstand und der Wut. Senden euch ganz viel Kraft ♥️♥️♥️
Hallo ihr Lieben, vermutlich hattet ihr eure Begegnung inzwischen bereits. Ich hoffe, sie ist weniger frostig verlaufen als ihr es im Vorfeld befürchtet habt.
All eure Gedanken sind uns gut vertraut. Und selten würde sich bei uns diese wütende Seite dann auch mit allem in der Begegnung zeigen. Eher sind wir reserviert und bemüht uns so zu zeigen wie immer. Als wäre nichts.
Bei uns kommt dann aber auch noch ein weiterer Gedanke hinzu.
„Was, wenn sie wüßte, dass wir das ganz gut hingekriegt haben? Denkt sie dann möglicherweise, dass wir sie gar nicht mehr brauchen? Und verschwindet sie dann ganz?“
Dieser Gedanke bewirkt in uns auch nochmal eine Wut. Eine, die gezeigt werden will, damit sie sieht, wie schwierig das alles war und wie gemein. Und eigentlich, ganz eigentlich ist diese Wut (genauso wie die andere) eine richtig schlimme Hilflosigkeit, weil sich die Kleinen in mir dem ausgeliefert fühlen und ich eben ja auch nichts daran ändern kann, dass dann gerade Urlaub, Fortbildung oder einfach eine Kontaktpause ist.
Wir versuchen all das inzwischen dann wenigstens sortierter in darauffolgenden Begegnungen anzusprechen. Auch, um es selbst besser zu verstehen und zukünftig wieder einen oder mehrere Schritte weiter zu sein. Nicht nur abwarten zu müssen, bis dieser Mensch wieder verfügbar ist. Nicht nur aushalten müssen.
Es ist sehr schwierig, diese inneren Diskrepanzen bewusst wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen. Umso größer ist der Erfolg, wenn du als Alltagsanteil die Diskrepanz schon so deutlich erkennen und sogar für dich benennen kannst.
Und nein, ich finde es nicht schlimm, wenn noch keine Erleichterung über das Wiedersehen gezeigt werden kann. Denn, dann wäre eventuell die Angst unermesslich groß, die Helferin könnte denken, dass sie nicht mehr gebraucht wird und ihr bestens klarkommt.
Ich schicke euch ganz liebe Grüße. 💜
Hallo rainbowlight,
bei dem, was du geschrieben hast, bin ich bei dieser einen Textstelle hängengeblieben: „…damit sie sieht, wie schwierig das alles war und wie gemein…“
Danke für diese eine kleine Wort : gemein.
Wie oft bin ich mit meinem Erwachsenenvokabular um das jeweilige Problem drumrumgestelzt und hab mir einen abgebrochen, die Problemlage „vernünftig“ in Worte zu packen, und da ist es, das Wort, das die Situation für eins der Kleinen oft viel besser treffen würde – „es war gemein !“
Ich finde, das weckt sehr viel mehr Verständnis dafür, wie so ein Kleines sich da grade fühlt, weil dieses eine Wort Gefühle von Ärger und Wut, Trotz, Verlassensein, Traurigkeit und auch die erlittene Hilflosigkeit gleichermaßen einschliesst.
Alles in einem: Gemein!
Es freut mich, dass ich für dich das passende Wort gefunden habe.
Ich persönlich bemühe mich sehr, die Kleinen und mir ihre Gefühle in eigenes Vokabular packen zu lassen. Denn meine erwachsenen Worte würde niemals wiedergeben können, wie ich als Kind empfunden habe.
Und so wie du es auch schreibst, „gemein“ ist das, was ich als Kind gefühlt habe. Und darin steckte all der Schmerz, das Ausgeliefertsein, die Wehrlosigkeit,…… einfach alles.
Danke für diese Rückmeldung! Weißt du, so wie du schreibst, dass du versuchst, die Kinder in dir ihre eigenen Worte finden zu lassen, das mache ich durchaus genauso, denn es ist ja doch auch so, daß die inneren Kinder heute genau wie früher anhand ihres Auffassungsvermögens, ihrer Art der Wahrnehmung und ihren Möglichkeiten des Ausdrucks sich ein Bild von der Welt und den Geschehnissen darin machen und gemäß ihrem Entwicklungsstand kommunizieren und verarbeiten.
Nur muss ich für diese Art von Innenarbeit, wenn sie Erfolg haben soll, dem Innen meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken.
In Zeiten von äußerem Hochstress wie gerade jetzt, ist das dann schwierig umzusetzen, und dann bin ich dankbar, wenn mir diese kleinen
Winke in den Texten hier und woanders begegnen.
Liebe Sofie!
Du schreibst: „…manchmal ist es schwer, wenn Emotionen jede Vernunft über den Haufen werfen..“, – stöhnte die Alltagsperson –
Manchmal ist es aber auch schwer, wenn die Vernunft jede Emotion auszubremsen weiß. 😉
Ich finde, daß du als Alltagsperson über Wochen allein mit deinen Innen ganz sicher das Beste daraus gemacht hast, aber ich kann mir auch gut vorstellen, daß man als Alltagsperson, wenn die Möglichkeiten zur Reflektion so lange fehlen, selbst maßlos überfordert ist, so wie auch die Therapeutin ohne Supervision und den Austausch unter KollegInnen mit schwierigen Situationen überfordert wär.
Was ich sagen wollte: Nach dieser enormen Kraftanstrengung müssen alle erstmal wieder gepäppelt werden, auch die Alltagsperson. Vielleicht vor allem die Alltagsperson. 🤕🧣
Wir wünschen dir, daß du in der Begegnung mit der Helferin die Kraft gefunden hast, deine Anspannung in klärenden Worten spürbar und sichtbar werden zu lassen, und auch deine wütenden Beschützer nicht in den Streik treten müssen.
Den Schweigeboykott kennen wir hier nämlich auch zur Genüge, das ist schrecklich !
Liebe Sofie,
Wir hoffen, dass euer Termin für euch erfolgreich verlaufen ist. Wir kennen solche Gefühle zur genüge, allerdings hatten wir auch die besten Therapiestunden wenn wir es geschafft haben die Gefühle der Enttäuschung gegenüber der Therapeutin auszusprechen. Das waren oft richtige Durchbrüche, wo es eine wichtige Erkenntnis gab auf beiden Seiten, die uns Kraft gab und hoffnungsfroh weitergehen ließ. …. Das wünschen wir dir von Herzen.
Alles Liebe
„Benita“