Ein dissoziativer Kochmoment

Der Reis kocht. Mein Blick schweift vom Kochtopf nach draußen. Während ich Gedankenabwesend weiter rühre, leuchten mir kleine rote Blüten aus dem krautigen Gestrüpp an der Straße entgegen. Bei den Nachbarn blüht der Flieder. Der Himmel schaut mich an, als würde er mir für einen kurzen Augenblick zuzwinkern: „Es ist ok, wenn du mit den Wolken fliegst und dich wegbeamst.“ Dann erinnert mich mein Hunger, dass es genau das nicht wäre. Ich schaufle den Basmati in eine kleine Schale. Etwas geschnittenes Putenschnitzel. Schmand. Salz. Der Kopf schwebt dumpf im Nebel. Doch der ist nicht aus Wasserdunst, sondern aus Angst, obwohl ich die Angst nicht spüre, weil dazwischen der Nebel ist.

Ich sehe meine Finger und Hände greifen, den Löffel halten, aber so ganz sicher bin ich mir nicht, wer hier eigentlich den Löffel hält. Selbst scheine ich es kaum zu sein. Obwohl ich da bin. Allerdings mehr als Zuschauer. Offensichtlich habe ich im Laufe des Kochprozesses den Löffel abgegeben, wenn auch unbewusst. Eigentlich würde ich gerne in den Körper wollen. Es fühlt sich komisch an so weit entfernt zu sein. Leer, taub, tod und ein bisschen spooky, auch noch nach so langer Zeit mit den Innens.

Mein Verstand sagt mir, dass ich vermutlich irgendwo getriggert sein dürfte und die Erfahrung, dass in so einem Zustand meist im Hintergrund Erinnerungen laufen, die aber irgendwo vor meiner Bewusstseinsschwelle abgefischt werden. Zu viel. Man traut sie mir als Alltagsperson nicht zu. Fairer Weise muss ich zugeben, dass ich damit wirklich oft überfordert bin. Andererseits habe ich durchaus den Anspruch an mich die traumatisierten Innens bestmöglich zu versorgen, sofern ich irgendwie kann. Gibt’s eigentlich irgendwo einen „Examenstrainer für emotionale Innenversorgung“? Ich würde die nächste Prüfungsanfrage des Lebens gerne bestehen. 😏

Irgendwann stelle ich fest, dass ich gegessen habe ohne dabei gewesen zu sein. Der Reis ist leer. Die Pute kalt. Ich spüre ein bisschen Körper und ganz weit weg tiefe Traurigkeit. Kaum der Rede wert. Nicht so schlimm. Dank der Watte. Nur nicht aus Zucker, sondern aus schützendem Traumanebel.

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