
Wie so oft in letzter Zeit verbringe ich die ersten und die letzten Stunden des Tages auf dem Balkon. Es beruhigt mich irgendwie, wenn ich die Vögel pfeifen höre und schenkt mir ein Gefühl von Freiheit und Weite. Meine Fußsohlen haben auf dem kleinen Tischchen vor mir halt gefunden. Es tut gut, die Beine hochzulegen. Gerade bei der Hitze sind sie am Abend oft etwas schmerzhaft. Mit dem Oberkörper lehne ich mich vertrauensvoll in die Arme des Sessels zurück. Über mir ziehen die Wolken. Ich weiß nicht: Bin ich oder bin ich nicht und wenn ja, wo und was davon ist wirklich? Seit unserer Stunde mit der Sozialpädagogin heute ist eine Person nach vorne gerutscht, die sich von der erlittenen Folter noch immer nicht erholt hat. Sie ist kaum orientiert, fühlt sich, als wäre sie im Nirwana und blickt mit außergewöhnlichen Perspektiven auf den Körper und die Welt. Ihr Schmerz hüllt uns ein und ihre Verzweiflung reicht gewiss locker bis zu den Wolken und dahinter. Nun blickt sie mit uns in den Himmel, wie in der Nacht, in der sie so sehr um ihr Leben schrie, dass sie dachte sie würde eine andere Frau weit entfernt schreien hören. Den Körper hatte sie längst verlassen.
Manchmal würden wir nur deshalb sterben wollen, um den Teil von uns auf der anderen Seite wiederzusehen, der sich schon viel früher aus diesem Leben verabschiedete. In der Wohnung klingelt das Telefon. Unser Lieblingsmensch. Es ist noch nicht die Zeit dafür Tod zu sein. Manchmal haben wir nur den Eindruck, dass es auch zum Leben nicht wirklich reicht. Wir fühlen uns, als stünden wir zwischen den Welten und in keine gehören wir wirklich. Weder sind wir bereits körperloses Geistwesen, noch seelisch voll bewohnter Menschenkörper. Aber vielleicht muss und darf das ja nach unserer Geschichte auch so sein!?
Wir sind traurig – irgendwie. Und verzweifelt. Voller Scham. Und beladen mit Schuld. Der Bewegungsmelder im Hof lässt die Dämmerung plötzlich in blendendem Licht versinken. Die Dissoziation handhabt es mit unseren Gefühlen ebenso. Sie sind da und doch nicht, weil sie nicht mehr greifbar sind, sondern vom Schock so überblendet, dass man für den Moment einfach nichts sieht und nur erahnen kann, was wirklich vor sich ging. Federleichte Folter. In Watte gepackt. Immer wenn sich die Augen gerade an die Lichtverhältnisse gewöhnen würden, verändern sie ihre Beschaffenheit. Der Wind weht sanft. Meinem Körper ist längst kühl. Für einen Moment werden wir noch mit unserer Seele wandern, Wolken zählen, uns zuhören und den Grillen lauschen, wenn sie ihr Nachtlied zirpen. Dann werden wir versuchen selbst so gut wie möglich durch die dunkle Zeit zu kommen, bis am nächsten Morgen die Sonne wieder aufgeht. Uns einwiegen im ewigen Kreislauf des Lebens.
Dankeschön für diesen Text, für alles was da steht und mitschwingt. Ich lese ihn gerade zur Beruhigung und ich fühle mich weniger allein.
Gerade eben kam es uns vor, als seien eure Worte exakt für uns geschrieben worden, die wir gerade vor 20 Minuten depersonalisiert und panisch schreiend im Auto durch die Dunkelheit zischten.
Es war viel heute. Es war viel. Wir sind jetzt sicher. Egal ob mit Schlaf oder ohne – Morgen früh wird es wieder hell.
Ich finde es so schön, dass wir dir mit diesem Text ein bisschen helfen konnten! Wir hoffen es geht euch heute wieder besser?
Danke nochmal, auch vom Heute-Team. Gestern waren wir das erste Mal bei einer Fachberatungsstelle und das Gespräch mit der Sozialpädagogin dort war wirklich aufregend und sehr neu. Alles ist überhaupt sehr neu, wenn man ein Leben nach dem Trauma, als Viele nun „selbst“ und sicher gestalten soll. Euer Blog ist dabei eine großartige Unterstützung. Alles Liebe!