Duschwassertropfen und Gedankenspuren

Die letzten Tropfen des Duschwassers laufen noch über meine Nase. Von den Haarspitzen aus bilden sich kleine Rinnsale über meinen Rücken. Immer wieder geraten sie kurz ins Stocken ehe sie weiterfließen. Es ist als müssten sie Anlauf nehmen und sich sammeln, bevor sie sich in die Tiefe stürzen. Manche der kleinen Bäche münden ineinander. Andere ziehen alleine längere und kürzere Spuren über meine nackte Haut. In der Nase der Duft des Shampoos. Eine Mischung aus süß und doch angenehm frisch. Mit den Händen greife ich nach dem großen Duschtuch auf der Ablage. Ich breite die Arme aus, um mich dann in das flauschige Frottee zu hüllen. Übereinanderschlagen, Ecke einstecken, fertig. Ein Turban um die lange Mähne. Dann sind die Rinnsale trockengelegt. Auf der Hautoberfläche bleibt nur ein Hauch von Feuchtigkeit zurück, der kühl in Raum und Zeit verdunstet. Ich lasse mich in den Sessel fallen. Erschöpft. Vor dem Fenster weht das Aprilwetter. In mir Totenstille. Es ist als würde ich selbst darin den Schreien der Traumata lauschen, wie sie widerhallen, gegen die Schädeldecke prallen und in vernichtendes Nichts münden. Mein Schädel ein schwarzes Loch voller Abgründe.

Ich starre aus dem Fenster. Tränen drängen in die Augen. Mein berufliches Projekt musste ich an eine Kollegin abgeben. Aktuell kann ich die Betreuung nicht leisten. Das macht mich unendlich traurig, weil ich es von Herzen gerne gemacht habe und diese Form von Arbeit wirklich liebe. Ich habe begriffen, dass ich nicht kann, dass es nicht anders geht und dass eine Krisenstation nicht der Ort ist, um sich mit Karriere auseinanderzusetzen, wenn ich vor Überlastung sterben möchte. Bei allem Verständnis und Logik – der Schmerz darüber bleibt. Weil ich es kann und so sehr will, wenn ich nur irgendwie könnte… In mir klaffen Wunden, die von außen unsichtbar scheinen und doch lassen sie mich verbluten. Oft genug möchte ich sie noch nicht einmal selbst wahrhaben, obwohl ich ihre Vernichtung täglich spüre. Da ist sie wieder, die Dissoziation… Weil bezweifelt werden muss, was ohne Zweifel pure Vernichtung war.

Der Himmel ist grau. Die weiße Gardine trübt den Blick doppelt. Sie wirkt wie Nebel vor dem Nebel. Kälte kriecht mir in die Glieder. Gleich werde ich aufstehen und mir eine Tasse heißen Kaffee kochen. Danach werde ich mich darüber freuen, dass wenigstens das heute gelang – aufstehen. Manchmal eine Mautaufgabe. An Tagen wie diesen. Mit den Visionen des Verstandes und dem vernichtenden Abgrund der Traumata in jeder unserer Zellen.

3 Kommentare zu “Duschwassertropfen und Gedankenspuren

  1. Liebe Sofie und die bunten Schmetterlinge,
    So traurig es klingt, dass es dir so ergeht, wir sind dir sehr dankbar für diesen Text. Wir finden uns darin wider und er tröstet uns im nicht alleine sein mit solchen Wahrnehmungen, emotionalen Begebenheiten. Danke dir dafür und wir wünschen dir dass es dir/euch bald wieder besser geht. 💖🍀🌷🍀🎋🍀

    • Liebe Benita,
      ich kann das gut verstehen! Auch wenn es manchmal um schwere Themen geht, so sind wir umgekehrt auch oft dankbar uns in den Zeilen anderer Betroffener wiederzufinden und nicht alleine mit all dem zu sein. Es freut uns, wenn dieser Text für euch dazu beigetragen hat!

      Danke für die lieben Wünsche und ganz herzliche Grüße! 🤗🦋

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