Umgang mit Schmerzen nach extremen Gewalterfahrungen – Dissoziative Identitätsstörung und kPTBS

Ich hatte in den letzten Tagen nach einer notfallmäßigen OP Gelegenheit mich nochmal eingehend mit dem Thema Schmerzen auseinanderzusetzen. 😏 Bei dissoziativen Störungen gibt es im Kern zwei Wahrnehmungsbereiche die zum Problem werden können: Entweder man spürt Schmerzen gar nicht, so dass sie ihre Warnfunktion nicht mehr ausführen können oder sie werden verstärkt wahrgenommen, so dass auch schon verhältnismäßig kleine Irritationen einen um den Verstand bringen können. Viele Betroffene kennen beide Zustände im Wechselspiel.

In der Regel spüre ich persönlich meinen Körper und Schmerzen eher nicht. Wenn ich ihn aber spüre, dann heftig. Ein Problem, das dann dazu kommt ist das Triggerpotenzial. Es kann passieren, dass sich die Schmerzspitze ins unendliche erhöht, wenn durch aktuelle Schmerzreize auch noch alte Erfahrung zurück ins Bewusstsein schießen. Wir haben in den vergangenen Jahren für uns gelernt und beschlossen in Sachen Schmerz in solchen Fällen eine null Toleranzpolitik zu fahren. Die Spirale, die dadurch ausgelöst würde, hat ansonsten dermaßen wucht, dass sie mich psychisch zurück in Todesnähe bringt. In der Vergangenheit hat das dazu geführt, dass ich mir erlaubt habe, mit verhältnismäßig kleinen Wehwehchen spät abends beim ärztlichen Bereitschaftsdienst Hilfe zu suchen und in seltenen Fällen auch Opiate zu bekommen, um das Schmerzzentrum erst einmal wieder runter zu regulieren. Was ein Notfall ist entscheide in dem Punkt ich und nicht der Arzt. Ich muss es aushalten. Was der Arzt beurteilen kann, sind meine körperlichen Probleme, was er aber nicht abschätzen kann, sind die traumabedingten Narben in meinem Nervensystem, die nicht minder lebensgefährlich werden können. Denn ernsthafte Suizidimpulse sind als Folge solcher Situationen keine Seltenheit. Ich bin nach unserer Geschichte nicht mehr bereit FÜR UNS unerträglichen Schmerz einfach nur aushalten zu müssen und ich brauche keine Legitimation von außen, wann das der Fall ist, um das so für mich einzuordnen. Mit der Retraumatisierung muss ich im Zweifelsfall ja auch selbst klar kommen.

Ich würde mir wünschen, dass Ärzte diese Schmerzdynamiken automatisch auf dem Schirm hätten. Statt einfach nur zu schimpfen, weshalb Menschen die Notaufnahmen verstopfen ohne aus professioneller Sicht ein Notfall zu sein, wäre es schön zumindest einmal über solche Faktoren nachzudenken.

Was hilft:

  • Patienten ernst nehmen und ihnen ihre subjektiv empfundene Not glauben!
  • Beruhigen und eine fachliche Einschätzung des Gefährdungspotentials vornehmen.
  • Keine Formulierungen wie: „So schlimm ist das gar nicht“ oder „Wieso kommen sie damit überhaupt in die Notaufnahme?“, weil das schnell als Abwertung erlebt wird.
  • Bereitschaft mit Traumapatienten auch unkonventionelle Wege zu gehen und Hilfsbereitschaft signalisieren.
  • Das Gefühl in der Not erneut im Stich gelassen zu  werden, kann retraumatisierend wirken!
  • Das Wissen darum, dass Schmerzmittel in Ausnahme- und Stresszuständen bei Traumapatienten ihre Wirkung tatsächlich oft nicht entfalten und anders verstoffwechselt werden.
  • Bereitschaft in Ausnahmefällen nach gründlicher Abwägung auch einmal stärkere Schmerzmittel einzusetzen, als sie auf den ersten Blick notwendig erschienen.

Das Vorgehen einer Klinikärztin war für uns einmal besonders hilfreich und wir nutzen es seitdem als Schablone für ähnliche Situationen: Sie hat sofort zugesichert uns eine Schmerzinfusion mit Opiaten anzuhängen. Es geht mir hier nicht darum, dass es Opiate sein müssen! Weshalb das hier der Fall war hatte viele Gründe, die im Umfang aber den Beitrag sprengen. Dennoch finde ich es wichtig diese Substanzgruppe zu erwähnen, um auch diese Hilfe im Hinterkopf zu haben, wenn sonst nichts mehr geht. Opiate sind sicher kein einfaches Bedarfsmedikament und ich kann verstehen, weshalb manche Ärzte sich vor der Gabe scheuen. Als einmalige Option, um unsere Schmerzspitze zu unterbrechen waren sie in der Vergangenheit manchmal allerdings die einzig wirksame Lösung. Das kommt extrem selten vor und hat damit nicht den Hauch einer Abhängigkeitswirkung. Wir leben in den Intervallen dazwischen montalang und auch jahrelang völlig ohne jedes Schmerzmittel. Das Vorgehen der Ärztin hat uns in dem Fall eindeutig siganlisiert, dass sie  uns ernst nimmt. Vorgeschlagen hat sie zunächst eine Kombination aus einem anderen Schmerzmittel und Beruhigungsmitteln zu versuchen, um auch die psychische Komponente zu dämpfen. Wir hätten jederzeit sagen können, dass wir doch etwas stärkeres brauchen. Das war wichtig, weil wir dadurch Handlungsfähigkeit behielten und zumindest das Gefühl hatten den Schmerz jederzeit beenden zu können. In 99,9% aller Fälle reicht uns das aus. Die Eintrittskarte für jede gute Behandlung ist bei uns das Gefühl mit der Not nicht alleine gelassen zu werden.

Die meisten Traumapatient_innen – uns eingeschlossen – haben eine enorme Hemmschwelle überhaupt ärztliche Hilfe zu suchen. Wenn sie es dennoch tun, dann aus echter Not und weil Hilfe dringend benötigt wird! Ich wünsche mir, dass immer mehr Ärzt_innen so ausgebildet werden, dass diese Arztkontakte zu einer heilsamen Erfahrung werden können, die das Vertrauen in Menschen und das System zurückgeben können, statt es erneut zu zerstören.

2 Kommentare zu “Umgang mit Schmerzen nach extremen Gewalterfahrungen – Dissoziative Identitätsstörung und kPTBS

  1. Wir hoffen Eure Schmerzen sind soweit weg und so! Respekt das Ihr da so rigeros für Euch eintreten könnt und auch fordern könnt!
    Hier ist das noch so, Schmerzen werden weitgehend ignoriert, bis es nicht mehr geht. Allerdings helfen uns auch in den meisten Fällen kein der härteren Schmerzmittel, das verpufft im nirgendwo. Und Ernstgenommen werden wir selten, wie auch wenn mit einem lächeln im Gesicht erzählt wird das massive Schmerzen vorhanden sind.

  2. Ihr lieben Schmetterlinge,

    zunächst hoffen wir, dass Ihr Euch von Eurer OP gut erholt habt.
    Eure Beschreibung zum Umgang mit Schmerzen ergänzt gerade sehr gut unser eigenes Erleben. Wir stürzten gestern mit dem Fahrrad. Der Schmerz war mäßig, aber gut auszuhalten. Wir stiegen wieder auf und fuhren weiter. Dis zum Abend waren die Schmerzen praktisch weg. Nur die Flecke auf der Hose erinnerten noch sichtbar an das Geschehen. Später bequem auf dem Sessel lümmelnd war der Schmerz auf einmal wieder da – aber in einer Heftigkeit, die sich echt gewaschen hatte!!! (Im Wesentlichen besteht der Schaden aus Abschürfungen und leichten Prellungen – nicht dramatisches also) Die Nacht über immer wieder starke Schmerzen oder schmerzfrei im Wechsel. Jetzt ist es „normal“ – zumindest angesichts dessen, was ich von außen sehen kann.
    Es ist schon verwunderlich, wie Nervensystem und Körper hierbei versuchen miteinander „zu verhandeln“, wer denn nun federführend agieren darf…

    Viele Grüße an Euch alle aus der Himbeersplitterei

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