Balkonwindzauber

Als ich auf die ersten Balkonbretter vor der Türe trete, fühle ich mich, als würde der Wind eine dicke Wolke über meinem Kopf wegblasen. Er ist mild. Milder als gedacht. Die kalte Feuchtigkeit nimmt mich überraschend freundlich in ihre Mitte. Mich fröstelt kaum. Es riecht erdig. In meine Nase steigen die Gerüche der Kräuter und Gräslein. Gemolken vom Wetter verbreiten sie ihren würzig ätherischen Duft. Ich atme. Einmal. Zweimal. Freiheit. So schnell. Innerhalb kürzester Zeit fühle ich Leben in meine Adern strömen. Ich bin überrascht. Denn gerade noch fühlte ich mich wie eine lebende Leiche. Bleischwer, in den Sessel gedrückt von bangen Gliedern. Von der Verzweiflung ausgesogen wie von einem Dementor. Jedes Glück dem inneren Grauen gewichen. Nun also stehe ich mit meiner Sweat-Jacke und einer alten, griffbereiten Hose draußen. Meine Lungen füllen sich mit Sauerstoff. Das Gehirn beginnt langsam klarere Bahnen einzulenken. Die Watte schmilzt wie Zucker unter Energiezufuhr von außen. Langsam fällt sie in sich zusammen. Noch ist mein Sichtfeld unscharf. Die Welt erscheint verschwommen. Doch ich höre. Vogelzwitschern dringt an mein Ohr. Ich erlebe mich in mitten eines kleinen Wunders, das vielleicht nur kurz verweilen mag und doch jeden Augenblick wert ist.

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Duschwassertropfen und Gedankenspuren

Die letzten Tropfen des Duschwassers laufen noch über meine Nase. Von den Haarspitzen aus bilden sich kleine Rinnsale über meinen Rücken. Immer wieder geraten sie kurz ins Stocken ehe sie weiterfließen. Es ist als müssten sie Anlauf nehmen und sich sammeln, bevor sie sich in die Tiefe stürzen. Manche der kleinen Bäche münden ineinander. Andere ziehen alleine längere und kürzere Spuren über meine nackte Haut. In der Nase der Duft des Shampoos. Eine Mischung aus süß und doch angenehm frisch. Mit den Händen greife ich nach dem großen Duschtuch auf der Ablage. Ich breite die Arme aus, um mich dann in das flauschige Frottee zu hüllen. Übereinanderschlagen, Ecke einstecken, fertig. Ein Turban um die lange Mähne. Dann sind die Rinnsale trockengelegt. Auf der Hautoberfläche bleibt nur ein Hauch von Feuchtigkeit zurück, der kühl in Raum und Zeit verdunstet. Ich lasse mich in den Sessel fallen. Erschöpft. Vor dem Fenster weht das Aprilwetter. In mir Totenstille. Es ist als würde ich selbst darin den Schreien der Traumata lauschen, wie sie widerhallen, gegen die Schädeldecke prallen und in vernichtendes Nichts münden. Mein Schädel ein schwarzes Loch voller Abgründe.

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Vielschichtige Innenwahrheiten

Unser Steißbein schmerzt vom vielen sitzen. Seit Tagen drückt es uns innerlich immer wieder bleischwer nieder. Während wir am Anfang der Woche noch zwanghaft immer wieder für Bewegung sorgten, haben wir uns heute die Auszeit einfach erlaubt. Die Frage, wie es uns geht, ist kaum zu beantworten. Wir fühlen vieles gleichzeitig. Die Spaltung wird in ihrer Gegensätzlichkeit derzeit voll spürbar. Volle Freude und tiefes Leid passieren parallel. Wie lautet die richtige Antwort auf die Frage, wie es einem geht, wenn man einerseits gerade über sterben nachdenkt, weil man vor Schmerz zerbrochen ist und andererseits gleichzeitig große Erfüllung und Lebensfreude bei anderen Tätigkeiten fühlt?

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Samstags im Café

Ich sitze im Café. Vor mir bewegt sich das stille Wasser im Glas. Auf der angrenzenden Hauptstraße fahren die Autos vorbei. Der Wind im Schatten ist kühl und doch erträglich. Drinnen sitzen kommt nicht in Frage. Ungeimpft. Ungetestet. Aus medizinischen Gründen zu denen auch unser Trauma zählt. Über die neuen Regelungen kann ich mich kaum aufregen. Wir kennen Ausgrenzung unser Leben lang, nur die Gründe und Rechtfertigungen haben sich immer wieder geändert. Nun aber wollen wir die Herbstsonne genießen. Etwas, was uns niemand verbieten kann.

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Ein Beitrag wie eine Busfahrt

Ich sitze in der Sonne, die mir schon am Morgen viel zu heiß ist. Warten auf den Bus. Ein weißes Cabrio rauscht an mir vorbei. Ich krame in der Hosentasche nach Kleingeld für die Fahrkarte. Fünfzig Cent. Und nochmal… Reicht nicht. Also Rucksack runter und die Taschenuniversen erhöhen. Mehr Raum für mehr Geld. Wenn ich nur so viel hätte, dass ich alles damit vollstopfen könnte… Auf die letzte Sekunde finde ich die letzten Groschen. Neben mir auf der Haltestellensitzbank hibbelt eine ältere Dame unruhig umher. Zwei Minuten Verspätung! Dann ihre Erlösung – Der Bus kommt. Einsteigen.

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Ein entspannter Regensommersonntag

Ich mag regennasse Sommertage. Irgendwie verschaffen sie mir den Eindruck, als könnte ich mit den Pflanzen durchatmen. Während Tropfen um Tropfen prasselnd zur Erde fällt, legt sich kühlende Ruhe auf mein schmerzendes Innen. Von der Balkontür weht frische Luft herein. Wir sitzen im Sessel, die Beine entspannt übereinander geschlagen und lauschen aus dem warmen Zimmer heraus den Naturgeräuschen. Die Vögel pfeifen. Blätter spielen im sanften Wind. Je nachdem, wo die reisenden Wasserpartikel auftreffen, machen sie unterschiedliche Töne. Dumpf und warm auf den Balkonbrettern. Hell und leicht auf den Salatblättern. Knisternd knackend auf der Folie der Blumenerde. Klangvoll Gluckernd auf der Wasseroberfläche des Regenfasses und metallisch schneidend auf dem Metalldekoelement vor der Türe. Naturkonzert. Es erinnert mich ein bisschen an die Windspiele mit runden Hölzern, die im Sommer oft in den Gärten schwingen. Wie in einer geborgenen und windgeschützten Höhle komme ich bei mir an.

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Rapid Switching und Morgenstress

Mit dem Spülschwamm reibe ich aufgeregt in der Pfanne. Meine Zunge kribbelt leicht. Das Wasser schwappt aus dem Hahn und mir über die Hände – erst kalt, dann viel zu heiß. Im Gesicht brennt der Sonnenbrand. Ich will Frühstücken. Etwas warmes in den Bauch. Mein ganzes Sein ist schon am Morgen so angespannt, dass ich das Mobiliar zertrümmern könnte. Sprunghaft wechsle ich die Tätigkeiten, lasse wie aus dem nichts die Pfanne stehen, buddle im Blumenkasten, tippe ein paar Worte und kehre dann wieder in die Küche zurück. Die eine Hand weiß nicht was die andere tut und schon im tun vergesse ich, dass ich es getan habe. Ich presse die Hände seitlich gegen den Kopf und schiebe sie mit krallig gebogenen Fingern unter den Haaren über die Schläfe nach oben. „Es ist zum Mäusemelken!“ Uff. Aus dem Balkonkasten lächelt mir die versteinerte Elfe entgegen. Ein bisschen mehr Leichtigkeit wäre schön!

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Schwimmbadflow

Die Sonne strahlt. Das Wetter lacht. Mir ist nach Schwimmbad. Bahnen ziehen. Den Kopf frei kriegen. Das kühle Nass entspannt mich. Während mein Körper sich rhytmisch bewegt und die Atmung gleichförmig sprudelt, kommen wir in einen Flow, in dem wir für einen kurzen Zeitraum einfach alles an uns vorbei ziehen lassen können. Den Erinnerungen davon schwimmen – den gesamten Winter haben wir das vermisst. Das Wasser mach leicht und frei. Während uns Bewegung an Land oft Schmerzen bereitet, schafft es das feuchte Element durch den Auftrieb uns zu entlasten. Noch sitze ich in meinem Sessel, habe taube Watte im Kopf und bin damit beschäftigt im Tag etwas fußzufassen. Doch wenn wir angekommen sind auf der Erde werden wir eintauchen und mit langen Zügen die Wellen des Lebens durchschwimmen.

Videokonferenzen nach ritueller Gewalt und organisierter Ausbeutung

Ich sitze hier in meinem Sessel. Die Beine übereinander geschlagen. Der rechte Fuß wippt unruhig. Während ich mich im Raum umsehe, stelle ich fest, dass meine Kieferknochen fest aufeinander gepresst sind. Ich muss hier raus! Eilig springe ich auf und haste zum Balkon. Mir ist danach das kleine Grablicht anzuzünden, obwohl die Sonne gleißend hell scheint. Kurz die Hände auf die nasse Erde legen. „Mein kleiner Schatz!“ Das Herz stolpert. Tränen überfallen mich, doch nur im Innen. Außen hält mich Schweigen gefangen. Bilder von früher aus dem Bereich des Kinderhandels und der Zwangsprostitution nehmen sich Raum. Die Luft schwindet. Irgendwo in der reißenden Gedankenflut schiebt sich eine Frage in den Raum: „Weshalb bricht da gerade in mir so das Chaos durch? Bis grade eben war doch alles ok! Oder nicht?“ Ich schaffe es mich kurz von den Erinnerungen loszureißen und lasse die letzten Minuten Revue passieren. Sessel – Meeting beendet – Laptop zugeklappt… Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Die Kammera. Das Funktionieren vor dem Bildschirm, während andere mir dabei zusehen, triggert mich. Die Erinnerungen an alte „Dreharbeiten“ wurden wach.

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Dissoziation, Nebel und eine Schale voller Nudeln

Ich sitze im Sessel und stochere in meinen Gemüsenudeln. Eigentlich habe ich keinen Hunger. Würde mein Magen nicht von der Leere brennen, hätte ich mir Essen vermutlich einfach ganz gespart. Während die Gabel sich zwischen den Fingern im Kreis dreht und feine Spaghetti zu Miniaturnestern rollt, versinkt die Umgebung jenseits meiner Wahrnehmungswelt. Ich fühle mich, als könnte ich mich selbst im Zimmer beobachten und mir anerkennend auf die Schulter klopfen: „Herzlichen Glückwunsch! Du schaffst es einen Gabel zu drehen.“ Gleichzeitig scheint es, als würden mich dünne neblige Scheiben von allem um mich herum abtrennen. Die Welt da drüben jenseits des Schleiers und ich.

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