Balkonwindzauber

Als ich auf die ersten Balkonbretter vor der Türe trete, fühle ich mich, als würde der Wind eine dicke Wolke über meinem Kopf wegblasen. Er ist mild. Milder als gedacht. Die kalte Feuchtigkeit nimmt mich überraschend freundlich in ihre Mitte. Mich fröstelt kaum. Es riecht erdig. In meine Nase steigen die Gerüche der Kräuter und Gräslein. Gemolken vom Wetter verbreiten sie ihren würzig ätherischen Duft. Ich atme. Einmal. Zweimal. Freiheit. So schnell. Innerhalb kürzester Zeit fühle ich Leben in meine Adern strömen. Ich bin überrascht. Denn gerade noch fühlte ich mich wie eine lebende Leiche. Bleischwer, in den Sessel gedrückt von bangen Gliedern. Von der Verzweiflung ausgesogen wie von einem Dementor. Jedes Glück dem inneren Grauen gewichen. Nun also stehe ich mit meiner Sweat-Jacke und einer alten, griffbereiten Hose draußen. Meine Lungen füllen sich mit Sauerstoff. Das Gehirn beginnt langsam klarere Bahnen einzulenken. Die Watte schmilzt wie Zucker unter Energiezufuhr von außen. Langsam fällt sie in sich zusammen. Noch ist mein Sichtfeld unscharf. Die Welt erscheint verschwommen. Doch ich höre. Vogelzwitschern dringt an mein Ohr. Ich erlebe mich in mitten eines kleinen Wunders, das vielleicht nur kurz verweilen mag und doch jeden Augenblick wert ist.

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Honig zum Frühstück

Dieser Tag begann eigenartig.
Wir waren uns eigenartig nah und das schon ganz kurz nach dem Aufwachen.
Die letzte Zeit habe ich oft geglaubt ich hätte mich selbst und all die anderen im Stress-Watte-Überforderungsnebel verloren. Nur noch eine. Die anderen futsch.
Heute Morgen war es dann plötzlich anders. Einfach so. Über Nacht.
Die Stimmen in mir waren klar und deutlich wahrnehmbar.
Ebenso deutlich war auch mein Körper spürbar. Meine Haut. Meine Grenzen.
Lange schon können wir nicht oder kaum etwas essen. Wir versuchen es so gut es geht, um unseren Körper nicht völlig auszulaugen. Als ich die Guten-Morgen-SMS meiner Freundin las und durch den netten Gruß ein lächeln auf dem Gesicht hatte, stieg innen ein Wunsch auf.
Ein ferner Wunsch.
Ein Wunsch, den wir seit Monaten nicht mehr gedacht haben.
Frühstück.
Eine Kastanie mit Butter und Honig.
Und dann taten wir es einfach.
Wir gingen zum Gefrierschrank und tauten uns das Laugengebäck auf.
Fast meditativ fingen wir an die Butter darauf zu streichen und darüber den Honig zu verteilen.
Tee zu kochen.
Alle Angst, das Essen wieder nicht zu vertragen, wieder Übelkeit zu spüren, wieder massive Probleme zu bekommen trat für diesen Moment in den Hintergrund.
Und dann saßen wir an unserem kleinen Tisch im Wohnzimmer und nahmen den ersten Bissen und spürten.
Die eher raue Konsistenz der Kastanie. Den Butter. Wir rochen den Honig so herrlich süß.
Und es schmeckte. Es schmeckte so unglaublich gut. So unglaublich, unglaublich gut.
Und bei jedem Bissen, war so viel Dankbarkeit. Für diesen Moment. Dass es gerade möglich ist zu essen.
Dass wir überhaupt zu essen haben. Für alles.
So viel Freude in den kleinen und großen Herzchen in unserer Brust.
Nur wir und unsere Honigkastanie.
Ein kleiner Kosmos.
Voller Frieden und Ruhe.