„Schwer erkrankt“

Ich sitze bleischwer im Sessel. Meine Augen starren ins Leere. In Gedanken wiederhole ich einen Satz aus einer ärztlichen Stellungnahme: „Die Patientin ist schwer erkrankt.“ Wie auf einer alten Schreibmaschine läuft er immer wieder in meinen Gedanken vorbei und springt am Ende der Zeile wieder auf Anfang. „Schwer erkrankt.“ Meine Beine zappeln unruhig hin und her. Die Anspannung ist enorm hoch. Wir funktionieren nicht mehr. Nicht mehr wirklich. Das macht Panik. Letzte Woche haben wir uns krank melden lassen müssen, weil wir selbst nicht mehr dazu im Stande gewesen wären. Zum einen, weil wir tatsächlich dermaßen platt waren, dass wir nicht mehr sprechen konnten, zum anderen, weil wir es selbst nicht hätten so entscheiden dürfen. Krise. Aber lieber sterben, als vereinbarte Aufgaben und Termine nicht erfüllen, denn sonst stirbt man. Sagt mein Stammhirn. Gefühlter neuer Höhepunkt in der Abwärtsspirale. Versagt. Heute eine Nachricht vom Arbeitgeber. Anscheinend war nicht klar, dass ich auch am Wochenende und bis auf weiteres nicht arbeitsfähig bin. Ich soll erscheinen. Doch ich kann nicht. Eigentlich. Ich hadere. Soll ich es doch tun? Kann ich irgendwie letzte Kräfte mobilisieren. Immerhin gefällt mir der Job ja. Ich habe doch eigentlich „nur“ Stress. Innere kämpfe. Seit Tagen lebe ich in dichter Watte. Aufstehen ist mir nicht mehr möglich. Ich vergesse alles. Bin taub. Die Welt ist stumpf und bedeutungslos. Mein Körper niedergeschlagen wie nach einem enorm schweren Kraftakt. Alles schmerzt. Mein Innen läuft Dauermarathon. Die Physis liegt reglos im Bett. Mindestens Zwei Spuren streiten sich nun also untereinander. Sie sind sich uneinig, was wir zu leisten im Stande sind. Denn wie miserabel es uns wirklich geht, hat nur ein minimaler Bruchteil unseres Gehirns in Ansätzen überhaupt mitbekommen. Und von diesem kleinen Teil ist wiederum der Großteil ein kognitiv entferntes mentales Konstrukt und keine emotionale Wahrnhemung. Der Rest lullt sich dissoziativ den Zustand kurz vorm Suizid mitten im Totalzusammenbruch schön. Die Ernsthaftigkeit der Lage wird uns nicht bewusst. Uns fehlt ja nicht wirklich was – außer, dass wir nicht mehr können. Was also dem Chef antworten? Ich suche Hilfe bei meiner besten Freundin. Dann taucht der Satz aus der Stellungnahme wieder auf. „Schwer erkrankt.“ Ich versuche irgendwie den Graben zwischen den Wahrnehmungswelten zu überbrücken. „Der Arzt sagt, wir sind schwer erkrankt“, halte ich mich in Gedanken fest. „Also könnten wir es vielleicht wagen in Betracht zu ziehen uns krank zu melden.“ Andererseits: Mir macht das doch Spaß, ich habe mir immer gewünscht das einmal tun zu dürfen und dafür bezahlt zu werden. Dann kann es doch nicht zu schlimm sein. Vielleicht muss ich mich nur aufraffen…

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Dysfunktionale Funktion

Ich sitze in meinem Sessel und lehne mich erschöpft zurück. Aus dem Küchenfenster zieht der Dunst des Kochwassers in die kalte Winterluft. Die Worte sind rar. Ich bin irgendwie sprachlos, obwohl es so vieles zu sagen gäbe. Schlafen möchte ich und ruhen. Doch die Möglichkeit zu Erholung finde ich kaum. Immer wenn ich in den letzten Wochen dachte, dass ich nun endlich etwas Zeit haben würde, weil wichtige Amtspost abgearbeitet war, kam der nächste unerfreuliche Vorfall, der an meinen nicht mehr vorhandenen Kräften nagte. Selbstverständlich war die Erledigung eilig. Warten konnte die Auseinandersetzung damit jeweils nicht. Nur eines muss hier immer warten: Ich. Oder wir. Und unsere Bedürfnisse. So kurz vor dem Mittagessen schießt mir nur ein Gedanke durch den Kopf: „Ich habe es satt! Diese ewig andauernde, nie enden wollende dysfunktionale Zwangsfunktion, die über alle meine Grenzen geht, kotzt mich an.“

Wir sind kraftlos und gebrochen wie nie zuvor in unserem Leben. In jeder Zelle unseres Seins spüren wir, dass wir uns aufarbeiten, wenn wir aus den alten Mustern der scheinbaren Unerschöpflichkeit nicht endlich ausbrechen. Gleichzeitig hält uns die unsichtbare Macht der alten Traumata fleißig gefangen. Nicht aufgeben, nicht zusammenbrechen, nichts anmerken lassen. Leisten. Ich Frage mich, wie es wohl wäre, wenn ich viele Dinge wirklich nicht mehr erledigen würde, wenn die Post liegen bliebe, Fristen verstreichen, weil wir nicht können. Im letzten Arztbericht steht unter anderem: „Schwere Depression.“ Das hat die Dissoziation nur noch nicht so ganz gecheckt. So geht der Raubbau an unserer Substanz täglich weiter. Ich habe Angst davor irgendwann einfach tot zu sein ohne es zu wollen, weil wir das alles nicht mehr aushalten und sich doch jemand wie gelernt das Leben nimmt. (Ihr braucht euch keine Sorgen um uns zu machen. Wir werden aktuell engmaschig medizinisch und therapeutisch betreut. Unsere Helfer haben gemeinsam mit uns die Suizidalität im Blick.)

Mein Verstand weiß, dass ich längst nicht mehr die Letzte sein muss, die stehen bleibt, egal was passiert. Unser Körper weiß es nicht. Ich bin unendlich erschöpft. So fühle ich schon morgens. „Ich kann nicht mehr aufstehen“, denke ich. Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, sehe ich allerdings wie mein Körper sich von unsichtbar Hand bewegt aus dem Bett quält, aufsteht, sich fertig macht und bei seinen Terminen erscheint. Abends nach der Rückkehr nach Hause klappen wir dann regelmäßig zusammen. Für uns. Alleine. Wenn es niemand merkt. „Ich brauche Hilfe“, denke ich und höre mich allzu oft im gleichen Moment sagen: „Alles in Ordnung. Ich schaffe das.“ Je mehr ich funktioniere und über meine Grenzen gehe umso tiefer und existenzieller wird die Not im Inneren. Ein Teufelskreis.

Ich bin froh, dass es derzeit zumindest einige Menschen gibt, die an den Vorgängen hinter der Maske teilhaben und uns spüren lassen, dass sie uns ernsthaft helfen wollen. Die Angst das alles nicht zu schaffen bleibt dennoch.

Traumaverarbeitung – Was habe ich wirklich begriffen?

Samstag. Endlich Wochenende. Die frühlingshafte Wintersonne blendet zum Fenster herein. In ihrem Schein wärmen sich meine Zehenspitzen. Den gesamten Januar habe ich irgendwo zwischen Krankenhäusern, Spezialstationen und Facharztpraxen verbracht. Frust macht sich breit, wenn ich daran denke. Mein Leben verlangt nach Behandlungsoptionen. Die Ärzte lassen mit ihren Ergebnissen auf sich warten. Derweil wütet in meinem Körper die autoimmune Zerstörung. Ehe es am Montag zum nächsten Mediziner geht, der meinen Zustand unter die Lupe nimmt, brauch ich vor allem eins: Pause. Während ich es mir gemütlich im Bett und auf dem Sofa einrichte, beginnt auch der Kopf die Zeit zu nutzen und das dauergetriggerte Erinnerungspuzzelwirrwar zu sortieren. Die Sonne eröffnet auf meinem Rücken eine Krafttankstelle. Ich frage mich: „Was habe ich in all der Zeit von den vergangenen Schrecken eigentlich wirklich begriffen?“ Weiterlesen

Faulheit oder Depression

Ich sitze auf meinem Bett und starre aus dem Fenster. Auf meiner Lippe klebt ein frisches Blatt Melisse. Kleine herpesartige Bläschen schmerzen auf der Schleimhaut. Ich hoffe, dass das Pflanzenpflaster die Verursacher möglichst schnell umhaut. Der Stress der letzten Wochen war zu viel. Mein Immunsystem ist an vielen Stellen angeschlagen. Alles in uns ist erschöpft. Mir fehlt die Konzentration, um sinnvoll länger bei einem Thema zu bleiben. Entsprechend schweife ich in der Welt umher.

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Schockgedanken

Bist du da draußen oder bin ich hier drin? Was ist schon die Welt und was der Kosmos, wenn nichts mit einem zu tun zu haben scheint? Da sind Dinge um mich herum und Leben. Doch ich gehöre nicht dazu und stehe mit nichts in Beziehung. Ich fühle mich, als würde mich die Welt nur träumen oder träume ich die Welt und was davon ist real? Eine dicke große Blase schirmt mich ab von allem. Vor allem aber vor dem Schmerz in mir. Ihre Wände sind dick. Ohnmacht hat sie zementiert. Ein Rettungsschirm. Nichts hat noch Bedeutung seit dieser Situation im Mai. Ich habe mich erschrocken, gar nicht wirklich verstanden was geschehen ist und danach irgendwie funktioniert, organisiert und getan, was eben getan werden musste. Nebenbei gelacht mit Kollegen, weil man mich eben so kennt. In der drückenden Hitze des ersten Augustes halte ich inne und verstehe zum ersten Mal, dass der Schock über das Ereignis noch da ist. Hinter den Mauern. Tief in mir.

Das Trauma der Funktionalität

Wir sitzen in unserem Zimmer. Der Kaffee ist kalt. Auf der Thuje benetzen Wassertropfen die feinen Triebspitzen. Ich blicke durch sie hindurch wie durch Glaskugeln in denen man Weisheit zu finden versucht. Mein Atem stockt immer wieder. Der Körper meldet sich mit einem zarten inneren Vibrieren, das sich bald zu Zittern ausweitet. Alltag. Nichts dabei. Nur ein bisschen funktionieren. Doch es klappt nicht. Der Mandeldino im Kopf schreit Alarm. Ich kann mich nicht einfach übergehen. Heute nicht. Mein Körper schaltet auf Kampf. Der Druck steigt. Traumatisierte Funktionalität nimmt sich Raum.

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Margeriten und die eigene Natürlichkeit

Ich öffne die Balkontür. Meine Katzen stürmen hinaus ins Freie den ersten Sonnenstrahlen entgegen. Ein bisschen verwirrt schauen sie zurück, als würden sie sich heimlich fragen, weshalb ihr Frauchen heute schneller ist als sie. Normalerweise stehe ich auf, wenn die Katzen vor der Türe quengeln. Diesmal war es anders rum. Als ich mich darauf zu bewegte, hoben zwei verschlafene Nasen den Kopf. Allerdings springen sie schneller auf, als mein Kreislauf Bewegung am Morgen überhaupt dulden würde. Ich blicke in die Sonne und erwarte Wärme. Stattdessen antwortet ein kühler Windhauch. Ich werde den ersten Kaffee wohl doch drinnen genießen.

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Leid(en) zulassen. — Geteilte Ansichten

Ich möchte diesen ganz wundervollen Beitrag der Paulines von „Geteilte Ansichten“ mit euch teilen, der so viel Wahres über Heilung erzählt und uns aus der Seele spricht. Vielen Dank für die Erlaubnis!

Ein „besonders harter Brocken“ zu sein macht dich nicht zum Superhelden*in. Ich glaube, der Moment, in dem man das Leid(en) zulässt, statt es verhindern, verstecken oder vermeiden zu wollen, ist bahnbrechend. Immer wieder höre, lese, erfahre ich den äußeren und inneren Fokus auf „Genesung“ (unterschiedlich definiert): Traumafolgen mögen idealerweise aufgelöst (oder abgemildert) werden, der Mensch […]

Leid(en) zulassen. — Geteilte Ansichten

Arbeitsanfang und Einheitsfrei

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Der zweite arbeitsreiche Tag an neuer Stelle ist vorbei. Ich sitze endlich gemütlich zu Hause und bin einfach nur froh. Von 9 bis 18 Uhr mit fremden Menschen zusammen zu sein, fordert extrem viel Kraft. Gestern war ich fix und alle und fiel direkt ins Bett. Zum Glück ist morgen erst einmal Tag der deutschen Einheit und damit frei! Die Zeiten bleiben auch nicht so und ab nächster Woche sind die Stunden besser auf verschiedene Tage verteilt. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen den morgigen Feiertag dafür zu nutzen den Balkon winterfest zu machen und ein paar Herbstblümelein einzupflanzen. Ins Gartencenter habe ich es heute allerdings nicht mehr geschafft. Dafür waren wir viel zu k.o. So bin ich einfach stumm winkend daran vorbeigefahren und werde wohl erst am Wochenende mal rein schauen. Etwas buntes Leben fehlt mir auf dem Balkon derzeit doch sehr, nachdem die Sommerblumen alle weitestgehend abgetrocknet sind.
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Ich will spüren, dass ich lebe

Mein nasses Haar fällt über meine Schultern.
In der Nase fühle ich dem Duft des neuen Hafermilchshampoos nach.
Nicht schlecht.
Ich mag das Gefühl auf meiner Kopfhaut.
„Wer bin ich eigentlich.“, frage ich mich so nebenbei.
Die Antwort dazu bekomme ich leider nicht so aus dem Ärmel geschüttelt.
Noch schwieriger, „Was will ich eigentlich?“.

Morgen heißt es wieder antreten und arbeiten.
Das Wochenende war viel zu kurz.
In der ganzen Funktioiermenschenwelt frage ich mich, ob ich das wirklich will. Ob ich wirklich „normal“ sein will und mich dafür selbst immer mehr verlieren, von Tag zu Tag dissoziativer, weil ich sonst die Reize der Außenwelt, die da auf mich einprasseln, gar nicht ertragen könnte.
Hülle.
Irgendwie ein scheiß Gefühl.

Ich will spüren, dass ich lebe!
Wir wollen das!
Wir wollen unser Leben leben.
Nicht das, das andere von uns erwarten.
„… und wissen, dass ich genüge. (…) Vielleicht hatte ich keine Wahl, sondern nur den Willen zum Überleben.“
„Ich will glücklich leben weil ICH bin.“
„Ich bin hier und mein Leben gehört nur mir.
Und den Himmel, an den ich glaube, den gibt es.
Den werde ich irgendwo finden.“