Urwaldtauchzug zu eigenen Pfaden

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Ein heißer Anstrengender Tag geht zu Ende. Wir waren Schwimmen, haben einen Kaffee mit einer Bekannten getrunken und uns soweit ganz gut geschlagen. Der Schrittzähler zeigt rund 3000 Schritte. Dennoch frage ich mich, ob sie uns wirklich vorwärts gebracht haben. Wir sind auf dem besten Weg wieder in das Hamsterrad einzusteigen und rundzulaufen. Der Funktionsmodus ist zurück. Nun könnten wir uns ja über die Rückkehr von „Normalität“ freuen und tun es ein Stück weit auch. Andererseits sind wir uns selbst so fern wie lange nicht. Ich fühle, dass ich nichts fühle. Wie eine leere, fahle Hülle spüre ich gerade noch so viel, dass ich mich ausreichend emphatisch und alltagstauglich verhalten kann. Wie einem Roboter fehlt mir allerdings der Bezug zu mir selbst und den anderen Innens. Die Erfahrung zeigt – das ist eine explosive Konstellation. Früher oder später sucht sich das Trauma den Weg an die Oberfläche und dann knallt es so richtig. Wenn ich jetzt wüsste, wo der Schalter für ein Mittelmaß aus beiden Welten liegt…!?

Wir sitzen auf dem Balkon und blicken in die Sterne. Manchmal würden wir gerne danach greifen. Ich gönne mir eine kurze Traumzeit. Im Geiste bewandere ich die tiefsten Urwälder, die höchsten Berge und tauche durch die Weite von Seen und Meeren. Immer Schritt für Schritt und so, wie es die Umgebung eben zulässt. Bestimmt nun die Umgebung meinen Weg oder bestimme ich ihn frei selbst? Oder lege ich den Weg im Rahmen meiner Möglichkeiten fest, wie es die Umgebung zulässt? Die Gedanken gefallen mir nicht. Nie bin ich völlig frei von äußeren Einflüssen. Da ist nie ein „Nur ich selbst“-Sein. Irgendwie beängstigend. In der Phantasie bestimme ich einfach die Umgebung mit. Das ist einfacher, weil ich sie mit einem einzigen Gedanken meinen Bedürfnissen anpasse. Im Alltag ist das in dieser Form nur sehr begrenzt möglich. Schade eigentlich.

Nachdenklich schaue ich auf das Foto dieses Beitrages, das mir gerade in die Hände gefallen ist. Stufe für Stufe im Rhythmus der Natur. Mein Herz mag die Symbiose von Weg und Wald. Das Moos polstert. Ohne die Umgebung wäre der Pfad wohl kaum so schön geworden. Das lässt ein bisschen Hoffnung wachsen. Mit einer inneren Feder male ich Blumen in mein Leben. Ein bisschen freundlicher wirkt es dadurch. Aus dem Schwarz steigen die Bilder. Sie verbinden sich zu einem bunten Strauß. „Dieses Leben beruht auf einer wahren Geschichte“ und der passende Weg wächst mit dem Menschen, der es lebt.

Phasen – Ich

In der Regel komme ich in meinem Alltag gut zurecht, sobald ich morgens das Haus für Arbeit und Beruf verlassen habe. Der innere Schalter steht auf „Open for Business“ – Funktionalität, Professionalität und Hochleistung, wenn nötig.
Die Arbeitszeit über höre ich kaum etwas von meiner Innenwelt, Bilder oder Erinnerungen werden weggestellt, ohne dass ich sie bewusst wegstelle. Der Tag passiert einfach. An manchen Stellen fühle ich mich mal mehr, mal weniger, gestresst, was ich gekonnt überlächle und ansonsten bin ich erstaunlich gut drauf. Alles easy.
So lief das auch die letzten Wochen.
Man erwartete Leistung bei extremen Arbeitspensum, ich brachte sie.
Ich benehme mich, als wäre nie irgendetwas schlimmes oder belastendes passiert.
Soweit das Leben in der Arbeitswelt.

Und nun gibt es da noch diese anderen Momente…
Dann wenn die Arbeit vorbei ist.
Privat.
Wenn Urlaub oder Wochenenden Ruhe versprechen.
Bei großem Stress in Job oder Ausbildung, was in der letzten Zeit fast immer der Fall war, rette ich mich ganz gut über einzelne Abende, weil ich dann entweder so k.o. bin, dass ich vom Lernen ins Bett falle oder die Zeitspanne bis zum nächsten Morgen schlicht zu kurz ist, dass der Stress- und Adrenalinpegel ausreichend abfällt, dass ich anfangen würde mich wieder zu fühlen…
So nach eineinhalb bis zwei Tagen sieht’s dann schon ganz anders aus…
Dann fängt das Grauen an über mich hereinzubrechen.
Die Innens und die Erinnerungen nehmen sich Raum.
Die strahlende „Businessfrau“ verschwindet und weicht einem fahlen, schmerzverzerrten Wesen, angefüllt mit Folter, das weder mit dieser Welt, noch mit sich selbst zurecht kommt und am liebsten nicht mehr aufstehen möchte.
Angst vor allem.
An Alltag ist nicht mehr zu denken.
Nicht für die nächste Zeit.
Alles was irgendwie geht ist mühsame, kleine Schrittchen zu machen und sich mit vereinten Kräften zur Therapeutin zu schleppen, voll Verzweiflung und in der Hoffnung, dass etwas von dem was auftaucht, gelöst, bzw. verarbeitet, werden kann.

Wieso geht eigentlich immer nur eines von beiden?
Wieso kann es uns nicht gut gehen, wir arbeiten und wir verarbeiten?
Oder wenigstens ein bisschen Funktionalität übrig bleiben?
Phasengrenzen hart und unkalkulierbar.
Entweder – Oder.
Entweder fühlen wir uns – Oder wir Funktionieren.
Heilung in Schüben.
Wann es vom einen ins andere kippt, ist schlecht voraussehbar.
Steuern kann ich das kaum.

Suche Seele im Funktioniermenschenkörper

Seit wir Sie letztes Jahr verloren haben, die Frau, die unser Herz kannte, waren wir nicht mehr wirklich bei uns. Die Trauer und der Schmerz hat alles überwältigt und aus uns einen watte-flauschigen Funktioniermenschen gemacht, der nicht mehr und wenn doch, dann nur noch sehr selektiv in der Lage war zu fühlen. Selbstblindes Organisieren und Arbeiten und Nach-vorne-Denken waren Helfer in der Not, die sich ganz automatisch in einer Situation zu uns gesellten, in der wir sonst nicht mehr gewusst hätten wohin vor Verzweiflung. Mal wieder.
Wir brechen nicht zusammen, wir funktionieren.
Doch neben all den positiven Rückmeldungen aus der Außenwelt, wie toll wir aussehen, wie toll wir arbeiten, wie super toll wir…
…habe ich als Große das Gefühl mich selbst und die Anderen immer mehr zu verlieren.
Ich bin irgendwo, nur nie wirklich da, nie im Moment, nie mit dem Gefühl von Erdung. Tausend Sachen gleichzeitig und nichts wirklich. In mir ist etwas, das spüre ich und ich weiß, dass da etwas ist… irgendwo… nur wo… und was… und wo sind die anderen… und was wollen sie mir sagen….
Manchmal scheint es, als ob der Eingang zu meiner Innenwelt wie zugeschüttet ist. Kommunikation – Fehlanzeige. Wenn ich es nicht mittlerweile einfach besser wüsste, weil ich mittlerweile eben weiß, dass extremer Stress das bei mir auslöst, hätte ich zeitweise meinen können, in mir wäre nie etwas gewesen.
Ich fühle mich nicht wie Ich selbst. Ich fühle mich hohl und leer und roboterartig, ohne noch zu wissen, wer ich bin und wer wir sind.

Ich will den Schlüssel zu mir/uns wieder haben!
Diese Macht hat sie nicht verdient!
Ich will selbst bestimmen!

Heute war ein Tag, an dem ich mir, an dem wir uns wieder etwas näher waren, wo ich die Verletzungen manchmal fühlen durfte und in der Menschenkörperhülle Seele spürbar wurde.

Tränen die über die Wange liefen…
Und Wut und Angst und Verzweiflung…

Und Kinder in mir die sagen: „Aber sie hat es doch versprochen! Sie hat doch versprochen, dass wir nie mehr alleine sein müssen!“
Wortlose Ältere Innenpersonen, die mit mir zusammen nicht mehr tun können, als die Ohnmacht gemeinsam auszuhalten.

Wir wünschen uns Menschen, die uns zuhören.
Und Menschen, die uns aushalten.
Und Menschen, die nichts versprechen, was Sie dann nicht halten können.