Erfahrungen von Folter

In den letzten Tagen habe ich aufgrund meiner eigenen Erinnerungen viel nach Erfahrungsberichten von Folter gegoogelt. Weil in der Verarbeitung derzeit besonders die Erlebnisse mit Strom und Elektrizität im Fokus stehen, war ich auch bei den Recherchen zunächst entsprechend darauf fixiert. Gefunden habe ich so gut wie nichts, außer grundsätzlichen, relativ oberflächlichen Beschreibungen von Methoden. Mir fehlen vor allem Schilderungen aus dem Innenleben nach einem derartigen Ereignis. In den spärlichen Artikeln über Opfer von politisch motivierter Folter finden wir uns nur sehr bedingt wieder. Zwar ähneln sich mitunter die Methoden, allerdings ist auch der Kontext für die Auswirkungen entscheidend. Häufig haben diese Überlebenden zudem einen – aus unserer Sicht -entscheidenden Vorteil bei der Verarbeitung: Die erlittenen Gewaltformen und die Umstände (Folter in Gefängnissen, bestimmte Regime, Stasi, KZ, etc.) sind bereits gesellschaftlich bekannt und auch anerkannt, während Überlebende von ritueller Gewalt erst mal dafür kämpfen müssen, dass Ihnen überhaupt geglaubt wird. Wir haben uns nun dazu entschlossen Stück für Stück unsere Empfindungen niederzuschreiben. Vielleicht hilft das anderen, die ebenfalls danach suchen. In der Seitenleiste findet sich ab sofort die neue Kategorie „Erfahrungen von Folter“, um die Beiträge dort zu sammeln. Beim Schreiben werden wir uns an dem orientieren, was uns im Innen jeweils zu dem Thema bewegt. Im letzten Beitrag „Tote trinken keinen Kaffee“ haben wir bereits einen Anfang gemacht. Triggerwarnungen gibt‘s – wie grundsätzlich auf diesem Blog – keine.

Ein Löffel Eis im Jetzt

Ich liege auf dem Bett und atme. Mit zwei dicken Kissen im Rücken bettet mein Oberkörper leicht aufgerichtet. Meine Finger kraulen im weichen Katzenfell die harten Rippenbögen. Es dauert nicht lange bis sich meine Bewegung des Brustkorbs mit dem Atemrythmus der Fellnase synchronisiert. Tranceartig schnurren mich ihre Töne zur Ruhe. Die Heizung rauscht leise im Hintergrund. In der Nase kribbeln ein wenig die Pollen, aber ich bin zu müde zum Niesen. Mein Kopf singt Liszt. „Romantisch“, denke ich bei mir. „Oh lieb solang du lieben kannst…“
Dann mus ich eingeschlafen sein.

Als ich aufwache liegt mein Handy neben mir. Meine Katzen melden Frühstück an. Mit geschlossenen Augen trotte ich in simulierter Dunkelheit zum Klo. Dann beginnt mein Tag. Einige Stunden später sitze ich mit Spaghettieis im Garten. Die Stimmen in mir sind munter. Sie Reimen und scherzen. Mein Mund schleckt jeweils altersangepasst an der kalten Süßspeise. Nur ein bisschen schwer ist mir die Brust. Aber in der Erdbeersauce gehen die Sorgen unter.

Für diesen Moment ist das so. Die Freude überwiegt. Im gleichen Augenblick sterben im selben Körper Andere tausend neue Tode. Vorne ist das kaum mehr fühlbar. Nun spüren Kinder voll Fröhlichkeit ihr Leben im Heute, bis…
Ja, bis der nächste Moment kommt. Der ist immer nur einen Wimpernschlag entfernt. In dem sterben sie vielleicht vor Qual. Oder glühen vor Wut. Oder Trauern aus tiefem Herzen. Oder betteln um Aufmerksamkeit.

In einem Löffel Eis liegt die ganze Bedeutung von „Jetzt“. Beim nächsten Löffel kann es vorbei sein.