Vergebung und Hoffnung

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„Vergebung bedeutet jede Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit loszulassen.“

Jack Kornfield, Buddhistischer Lehrer

Halsschmerz im Glücksklee

Der Hals schmerzt.
Seit heute morgen ist die Kehle empfindlich wund bei jedem Schlucken.
Kein Wunder, bei der Kälte.
Draußen vor dem Fenster, schnurrt unser kleines Windrad im Blumentopf.

Während wir den Tag mir viel Tee und Schmerztabletten im Bett verbringen, wollen auch die Katzen lieber nicht hinaus. Eigentlich ist heute St. Patricks Day. Viel Kraft haben wir nicht, aber ein paar kleine Gaben stellen wir den guten Hauskobolden dann dennoch auf den Balkon. Ich mag es an die grüne Farbe und die Kleeblätter zu denken. Das macht Hoffnung im Kopf. Am liebsten würde ich gerade mit all meinem Schmerz gebrochen im Glücksklee versinken und mich am Grunde seiner Stengel ganzheilen.
So ein bisschen Sofie im selbstgebastelten Wunderland.
Stattdessen überrollen mich am Nachmittag die Ängste psychotisch zu werden. Tu ich sicher nicht. Bin ich noch nie. Ist wohl bloß alles mal wieder ein bisschen viel grade. Der Kopf ist so voll und leer gleichzeitig, dass die Synapsen einfach überstrapaziert werden. Erinnerungen kommen nach oben und wir sind mit dem Verdauen der letzten Therapiestunde beschäftigt. Da kommt eine Erkältung doppelt ungelegen.

Wir gehen heute früh schlafen und kuscheln uns in eine warme Decke ein. Morgen früh, sieht die Welt hoffentlich schon wieder ganz anders aus. Die entzündungshemmenden Medikamente leisten gute Dienste und unterstützen die Genesung. Im Optimalfall springen wir dann morgen gesund und glücklich aus dem Bett. 😉

Nun wünschen wir euch allen aber zunächst eine gute und erholsame Nacht und ein spätes, aber von Herzen kommendes „Happy St. Patricks Day“!
Auf das morgen alles im grünen Bereich sein möge! 😉
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Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Es war eine kleine alte Frau, die bei der zusammengekauerten Gestalt am Straßenrand stehen blieb. Das heißt, die Gestalt war eher körperlos, erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.
„Wer bist du?“ fragte die kleine Frau neugierig und bückte sich ein wenig hinunter. Zwei lichtlose Augen blickten müde auf. „Ich … ich bin die Traurigkeit“, flüsterte eine Stimme so leise, dass die kleine Frau Mühe hatte, sie zu verstehen.
„Ach, die Traurigkeit“, rief sie erfreut aus, fast als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
„Kennst du mich denn“, fragte die Traurigkeit misstrauisch.
„Natürlich kenne ich dich“, antwortete die alte Frau, „immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet.“
„Ja, aber …“ argwöhnte die Traurigkeit, „warum flüchtest du nicht vor mir, hast du denn keine Angst?“
„Oh, warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selber nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst und dich so nicht vertreiben lässt. Aber, was ich dich fragen will, du siehst – verzeih diese absurde Feststellung – du siehst so traurig aus?“
„Ich … ich bin traurig“, antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.
Die kleine alte Frau setzte sich jetzt auch an den Straßenrand. „So, traurig bist du“, wiederholte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. „Magst du mir erzählen, warum du so bekümmert bist?“
Die Traurigkeit seufzte tief auf. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie vergebens versucht und …
„Ach, weißt du“, begann sie zögernd und tief verwundert, „es ist so, dass mich offensichtlich niemand mag. Es ist meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und eine Zeitlang bei ihnen zu verweilen. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Aber fast alle reagieren so, als wäre ich die Pest. Sie haben so viele Mechanismen für sich entwickelt, meine Anwesenheit zu leugnen.“
„Da hast du sicher Recht“, warf die alte Frau ein. „Aber erzähle mir ein wenig davon.“
Die Traurigkeit fuhr fort: „Sie haben Sätze erfunden, an deren Schutzschild ich abprallen soll.
Sie sagen „Papperlapapp – das Leben ist heiter“, und ihr falsches Lachen macht ihnen Magengeschwüre und Atemnot.
Sie sagen „Gelobt sei, was hart macht“, und dann haben sie Herzschmerzen.
Sie sagen „Man muss sich nur zusammenreißen“ und spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken.
Sie sagen „Weinen ist nur für Schwächlinge“, und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe.
Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht spüren müssen.“
„Oh ja“, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen sind mir oft in meinem Leben begegnet. Aber eigentlich willst du ihnen ja mit deiner Anwesenheit helfen, nicht wahr?“
Die Traurigkeit kroch noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Ja, das will ich“, sagte sie schlicht, „aber helfen kann ich nur, wenn die Menschen mich zulassen. Weißt du, indem ich versuche, ihnen ein Stück Raum zu schaffen zwischen sich und der Welt, eine Spanne Zeit, um sich selbst zu begegnen, will ich ihnen ein Nest bauen, in das sie sich fallen lassen können, um ihre Wunden zu pflegen.
Wer traurig ist, ist ganz dünnhäutig und damit nahe bei sich.
Diese Begegnung kann sehr schmerzvoll sein, weil manches Leid durch die Erinnerung wieder aufbricht wie eine schlecht verheilte Wunde. Aber nur, wer den Schmerz zulässt, wer erlebtes Leid betrauern kann, wer das Kind in sich aufspürt und all die verschluckten Tränen leerweinen lässt, wer sich Mitleid für die inneren Verletzungen zugesteht, der, verstehst du, nur der hat die Chance, dass seine Wunden wirklich heilen.
Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über die groben Narben. Oder verhärten sich mit einem Panzer aus Bitterkeit.“
Jetzt schwieg die Traurigkeit, und ihr Weinen war tief und verzweifelt.
Die kleine alte Frau nahm die zusammengekauerte Gestalt tröstend in den Arm. „Wie weich und sanft sie sich anfühlt“, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. „Weine nur, Traurigkeit“, flüsterte sie liebevoll, „ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Ich weiß, dass dich viele Menschen ablehnen und verleugnen. Aber ich weiß auch, dass schon einige bereit sind für dich. Und glaube mir, es werden immer mehr, die begreifen, dass du ihnen Befreiung ermöglichst aus ihren inneren Gefängnissen. Von nun an werde ich dich begleiten, damit die Mutlosigkeit keine Macht gewinnt.“
Die Traurigkeit hatte aufgehört zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete verwundert ihre Gefährtin.
„Aber jetzt sage mir, wer bist du eigentlich?“
„Ich“, antwortete die kleine alte Frau und lächelte still. „Ich bin die Hoffnung!“

© Inge Wuthe http://www.inge-wuthe.de/traurigetraurigkeit.htm

Flügel im Käfig

„Wenn man mit gebrochenen Flügeln in einem Käfig sitzt,
kann einem Freiheit wie ein unerreichbarer Schatz erscheinen.

Ich weiß das, weil ich selbst in einem Käfig gesessen habe.“

Beth Kempton

Manchmal scheint das, was man erreichen möchte so unendlich fern.
Das Zielbild klar vor Augen, aber keine Ahnung, wie man es erreichen kann oder soll.
Die Flügel tun weh und die Angst überhaupt nocheinmal darüber nachzudenken und den Träumen nachzufliegen ist rießig, vor lauter Panik vor erneuter Verletzung und dem zerreißenden Schmerz, den jeder Gedanke, wie ein Finger auf altfrischen Wunden, auslöst.
Am liebsten würde man sich dann einfach nur verkriechen und nie wieder irgendetwas tun.

Die Käfige unseres Lebens haben sich im Laufe der Zeit verändert.
Zuerst waren die Gitterstangen hart wie Stahl und von außen fest betoniert.
Dann hatten wir manchmal Freigang mit den zerschundenen Flügeln, die Täter uns gebrochen hatten und die verhindern sollten, dass wir nicht mehr zurückkommen und uns anders entwickeln.
Irgendwann waren die äußeren Grenzen aufgebrochen, aber der Gedankenkäfig blieb, flügelzertrümmernde Gedanken hielten uns im Zaum, wo vorher Täter standen und die Wunden durf-konnten nicht heilen. Manchmal kam es mir so vor, als wären diese Grenzen noch aus viel härterem und unüberwindbarerem Material als die Stahlgitterstangen zuvor.

Seit zwei Tagen fliegen wir.
Erstaunt wie ein Vogelkind, das aus dem Nest fällt, reflexartig anfängt mit den Flügeln zu schlagen und fasziniert von sich und den eigenen bislang unentdeckten Fähigkeiten ist.
Vorher hatten wir gar nicht bemerkt, dass die Flügel Stück für Stück nachgewachsen waren.
Groß und Stark und fähig uns ein Stück zu tragen.
Aber nicht nur nachgewachsen.
Es stecken auch völlig neue Federn drin und sie sind bunter und besonderer, als sie es jemals waren.
Für den Moment fühlen wir Glück.

Wir glauben, dass jeder Mensch Flügel hat.
Selbst, wenn er sie nicht bemerkt.
Wenn sie gebrochen und zerschunden scheinen.
Wenn er sie aus Angst abgelegt hat.
Wenn alles sinnlos und ohne Hoffnung scheint.
Und der ureigenste Instinkt, der in den Flügeln steckt, ist es zu heilen.
Schwingen zu können und zu fliegen.
Und wenn wir sie mit unserem Bewusstsein nicht lassen, dann versuchen sie es heimlich.
Immer wieder.
Jemand oder etwas, das so viel Heilungsinstinkt hat, ist nicht krank oder gebrochen.
Der ist nur vorrübergehend nicht erreichbar.
Zum Kräftesammeln und Flügel aus Tränen kleben.
Glitzerfunkelnde Tränenfedern, neben hoffnungslachendem Gefieder.

Man kann Menschen nicht ihre Flügel nehmen, nur den Glauben in ihre Tragfähigkeit.

Blümchenkräfte

„Wenn es ein Gänseblümchen durch den Asphalt schafft,
findest du ganz sicher auch einen Weg.“

visualstatements.net

Sterben vor dem Tod

„Nicht der Tod ist der größte Verlust im Leben.
Der größte Verlust ist das, was in uns stirbt,
solange wir am Leben sind.“

Norman Cousins

Solange wir Hoffen sind wir lebendig und die todgeglaubten Teile haben die Chance zu heilen und doch zu leben.

Karfreitagsfreiheiten

Früher, da waren diese Tage um Ostern vollgequetscht mit Ritualen und Dingen, die wir aus pseudoreligiösen Gründen genau so tun und ertragen mussten.
Am Karfreitag wird gefastet. Zum schein für die christliche Fassade.
Die Antichristliche hat Ihre eigenen Regeln. Dort herrscht Feierlaune.
All das lässt die Anspannung des Kindes ansteigen. Höchste Achtsamkeit. Was wird wo verlangt!? Wer gehört zu welcher Welt!? Und wenn man endlich meint zu wissen, zu welcher Welt jemand gehört, dann taucht er plötzlich doch auch in der anderen auf… Nur nichts falsch machen! Nichts durcheinanderbringen! Lebensgefahr!
Die Wiedersprüche von Tag und Nacht, von Außenwelt und Innenwelt, von Innerfamiliär und Außerfamiliär werden in diesen Tagen so deutlich und bewusst.
Die Stundenlange Karfreitagsliturgie in der Kirche am Nachmittag.
Die Rituale und Messen tief in der Nacht.
Wiedersprüche, die allein durch ihre Verwirrung und Anspannung Dauertrancen im Kind hervorrufen.
Perfekt als Vorbereitung und den leichteren Einstieg in die Folterprogrammierungen des Kindes, die an diesen Tagen vorgenommen werden.

Heute ist vieles anders.
Keiner zwingt mich in irgendeine Kirche zu gehen. Niemand schreibt mir vor bestimmte Rituale abhalten zu müssen oder daran teilzunehmen. Zumindest nicht im Außen.
Seit Tagen fühle ich tiefe Traurigkeit in mir, gepaart mit einem immer wieder durchdringenden kleinen zarten „Ich kann nicht mehr“.
Ich nehme mir Zeit. Zeit, um die Verwirrung von damals zu entwirren. Mache langsam, wo früher alles schnell gehen musste. Versuche die ewigen Fleisch oder nicht Fleisch Diskussionen zu durchbrechen und nehme mir vor einfach das zu essen und zu trinken, was gut für mich ist. Vor allem nehme ich mir vor überhaupt zu essen und zu trinken, so gut es geht.
Ich nehme bewusst wahr, dass wir diese Freiheiten heute im Außen haben und selber entscheiden dürfen. Irgendwie fühlt sich das gut an. Hoffnung in der düsteren Gedankensuppe. Es ist schon etwas besser geworden.
Ich fühle und höre die Vielen in mir und erahne ihre Schmerzen, ihr Leid und die Höllenqualen.
Ich bin dankbar, dass ich das heute fühlen kann und mich/uns schon soviel besser kennengelernt habe.
Ich weiß, dass nicht ich verrückt bin, sondern die Welt um uns herum.
In all dem, was noch an das Früher bindet, was schwer ist und oft kaum auszuhalten, gibt es neue kleine-große Freiheiten.
Wir essen. Was wir wollen. Und wann wir wollen.
Das ist unsere Karfreitagsfreiheit.

Was durch ein Nadelöhr so alles geht…

„Auch durch ein Nadelöhr kann man den Himmel sehen.“

Aus Japan

Hoffen und Heilen

Hier sitzen wir vor unserer Haustür.
Die Luft ist kühl und doch warm.
Die Katze schnuppert an den Gräslein und freut sich über die neuen Gerüche als willkommene Abwechslung im Katzenalltag.
Auf der Straße joggt ein junger Mann vorbei, dessen Lungen alles andere als gesund klingen.
Die Naturgeisterchen sind noch wach und spielen im leichten Abendwind ihr Windspiel zwischen den Blättern und Blüten der Bäume und kleinen Sträucher.
Der Tag beendet sich langsam.
Die Natur ist wunderschön.
In ihr ist so viel Frieden. So viel Heilung.
„Es ist ein wunderbares Geschenk, auf dieser Welt sein zu dürfen!“, denke ich und schäme mich gleichzeitig, dass mir bei all der Schönheit um mich mein Leben grade so schwer fällt.
Mein Leben scheint oft so unerträglich und düster und ist so voller Angst, dabei wäre es so schön, wenn ich das Jetzt genießen könnte.

Ich lebe.
Das ist mehr als das, wozu ich kräftemäßig derzeit im Stande bin.
Weil der Körper schlapp macht. Weil meine Seele bittere Tränen weint.
Ich tu’s trotzdem.
Auch wenn ich grade nicht weiß wie.
Weil ich nicht sterben wollen würde um des Sterbens Willen, sondern nur um endlich von diesen Qualen erlöst zu sein.
Und dann kommt ein Funke, ein klein bisschen Hoffnung.
Dass es doch noch irgendwann anders sein wird. Dass ich irgendwann diese Schönheit glücklich genießen kann. Dass es irgendwann irgendwo auf dieser Welt Heilung für uns gibt.

Und dann Heilen wir.
Jeden Tag ein bisschen mehr.

Und wir fangen schon heute Nacht damit an.
Im Traum.
Endlich heil und ganz.