Johnny Depp und Amber Heard – Fluch der Beziehung

Seit Tagen lässt sich international der Gerichtsstreit zwischen Johnny Depp und Amber Heard live aus dem Gerichtssaal mitverfolgen. Amber Heard wirft Johnny Depp häusliche und sexuelle Gewalt vor. Die Washington Post hatte in einem Artikel über die Gewalt berichtet, allerdings ohne seinen Namen zu nennen. Dennoch fühlt der Fluch-der-Karibik-Schauspieler sich dadurch in seiner Karriere negativen Konsequenzen ausgesetzt. Nun klagt er wegen Verleumdung und behauptet seinerseits wärend der Ehe Gewalt durch seine Ehefrau erlitten zu haben. Wie so oft geht es auf beiden Seiten auch um beträchtliche finanzielle Summen als Schadensersatz von mehreren Millionen US-Dollar. Diesen Beitrag schreibe ich nicht mit der Intention zu zerlegen, wer von beiden am Ende recht hat. Persönlich glaube ich in diesem Fall, dass beide Seiten einen Funken der Wahrheit berichten, aber jeweils den ganzen Kuchen für sich beanspruchen wollen. Ganz abgesehen davon stört mich aber der Umgang der Öffentlichkeit mit den durchaus prekären Themen, die in dem Verfahren angesprochen werden.

Zuschauer auf der ganzen Welt sitzen vor ihren Mattscheiben und schauen reißerisch auf die Bildschirme, um sich persönlich an einem Verfahren zu ergötzen, bei dem es unterm Strich um mutmaßliche Gewaltopfer und -täter geht, die über die Medien vorgeführt werden. Ihr Bekanntheitsgrad und die Höhe ihres Einkommens ändert daran nichts. Wer hat die besseren Anwälte? Wer würgt wem besser eine rein? Was gibt es für „lustige“ Szenen im Gerichtssaal, weil Johnny Depp das Gefühl für den Ernst der Lage fehlt oder der Psychiater von Amber Heard selbst wirkt, als könnte er einen Nervenarzt gebrauchen? Wer hat die besseren Zeugen, die klügere Taktik, den längeren Atem, die bessere Maske und das passendere öffentliche Funktionsniveau? Wem mag man persönlich aufgrund der Aussendarstellung mehr Sympathie schenken? Das alles ist aus meiner Sicht keine Haltung, die eine Gesellschaft für den Umgang mit Gewalt qualifiziert. Ich halte es für ein Desaster, dass wir eine derartige Ausschlachtung überhaupt zulassen.

Wenn auch nur ein Bruchteil von dem stimmt, was Amber Heard sagt – und mindestens die Drogenexzesse von Depp mit ihren Auswirkungen halte ich für unstrittig – dann sitzt da eine misshandelte Frau, mit einer psychologisch bescheinigten Posttraumatischen Belastungsstörung, die sich von jedem dahergelaufenen Menschen dumm anglotzen und bewerten lassen muss. Gleiches gilt umgekehrt. Sofern Johnny Depp in der Ehe zum Opfer von Gewalt geworden ist, dann muss er es jetzt auch noch ertragen, wie seine Privatsphäre mit Füßen getreten und seine gesamte Familiengeschichte auf den Tisch gezerrt wird. Ein Umstand der für beide Parteien gilt, scheint der zu sein, dass beide schon vor den gemeinsamen Erlebnissen in der Ehe Brüche in ihrer Vorgeschichte erlitten haben. So berichtet Depp unter anderem von den Prügelattacken und der „Grausamkeit“ seiner Mutter seit früher Kindheit. Auch Heards psychologisches Profil spricht für Vorerfahrungen und sie berichtet ebenfalls von komplexen Traumatisierungen in der Kindheit. Beide haben also eine Vorgeschichte, die die Beziehungsfähigeit stark beeinflusste.

Die gesellschaftlich relevanteren Fragen, die wir uns im Zusammenhang mit diesem Fall stellen müssten, sind nicht, wer von beiden am Ende recht hat und mehr Sympathien auf seine Seite zieht. Wir haben hier jeweils Opfer und Täter in einer Person. Zwei Menschen mit erlittenen Grenzverletzungen, die später selbst Grenzen verletzen. Statt einzuordnen wer von beiden der bessere „Schauspieler“ ist, sollten wir den Fall zum Anlass nehmen darüber nachzudenken, wie wir künftig mit Gewalt und ihren Folgen umgehen wollen. Statt Sensationsgeilheit wäre Demütigkeit gegenüber der Situation angebracht, denn derartige Taten – Gewalt – betreffen nicht nur die Reichen und Schönen in Hollywood, sondern täglich unser aller Miteinander. Welche Hilfsangebote machen wir? Denn über dem coolen Glamour-touch der Berichterstattung geht völlig unter, dass wir dort eigentlich zwei wirklich geschädigte Persönlichkeiten haben und daran ist so gar nichts schick! Wo trügt uns der Schein und Äußerlichkeiten immer noch über die tatsächlichen Inhalten hinweg? Wo lassen wir uns ablenken vom eigentlichen, weil wir die Dramatik dahinter nicht sehen wollen? Wo geben wir Gewalt einen Anstrich von Coolness? Wo lassen wir Klischees unsere Wahrheit bestimmen? Warum geht es im Vordergrund um die Karriere, wo es doch eigentlich um Menschenleben und innere Gebrochenheit geht? Wo werden frühere Gewalterfahrungen genutzt, um später eigene Übergriffigkeiten zu rechtfertigen und wieso lassen wir das zu? Ob Johnny Depp von seiner Mutter verprügelt wurde, spielt in diesem Verfahren eigentlich keine Rolle. Das belegt überhaupt nichts davon, wie er später mit seiner Ehefrau umgegangen ist. Dennoch wurde lange und ausgedehnt darüber gesprochen. In welche Schubladen stecken wir Menschen mit psychiatrischen Diagnosen? Ganz gleich, ob bei Amber Heard eine Borderline Persönlichkeit vorliegt, wie sie die Gerichtsgutachterin beschreibt oder nicht, heißt das ja noch längst nicht, dass Borderliner ganz automatisch auch gewalttätig gegenüber ihren Mitmenschen werden. Eine forensische Psychiaterin gibt in ihrer Aussage an, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung und Funktionalität nicht vereinbar wären. Wir haben offenbar weltweit auch in der Fachwelt noch viel Nachholbedarf was Wissen im Bezug auf komplexe posttraumatische Störungsbilder und Dissoziation betrifft!

Es gibt noch so viele Fragen und viele wichtige Auseinandersetzungen, für die man dieses Verfahren als Anstoß nehmen könnte. Kaum eine davon wird derzeit gestellt. Stattdessen starrt man mit einiger Oberflächlichkeit auf den Gerichtsprozess und nutzt ihn als heitere Projektionsfläche, um der ernsthaften Auseinandersetzung mit Gewaltthemen zu entfliehen. Denn das beherrscht Johnny Depp hervorragend – die Maske von unbeteiligter Lächerlichkeit über die eigentliche inhaltliche Schwere zu legen.

Gewalt ist keine Sensation. Sie ist ein Verbrechen!

Die Bedeutung der Diagnostik von dissoziativen Traumafolgen – Eine persönliche Sicht

Im Grunde können wir es kurz machen: Solange keine Diagnose der passenden dissoziativen Störung erfolgt, gibt es keine erfolgreiche Behandlung.
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Ein Beitrag für euere Fragen

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Etwas mehr als drei Jahre gibt es diesen Blog jetzt schon. Er ist mit seinen Lesern gewachsen. Uns bereitet es so viel Freude zu sehen, dass immer mehr Menschen mitlesen und sich für unsere Worte interessieren. Die Leserschaft selbst scheint dabei mittlerweile genau so bunt zu sein, wie der Blog und wir selbst. Danke euch allen dafür! 😘

Als wir so am Tisch saßen und überlegten, was ein schöner neuer Beitrag sein könnte, fanden wir den Zeitpunkt sehr geeignet einfach mal euch lieben Leser und Leserinnen nach euerer Meinung und eueren Wünschen zu fragen.
Gibt es Dinge, die ihr schon immer mal gerne von uns wissen wolltet? Dann her damit! Dabei ist grundsätzlich jedes Thema willkommen – solange es die Basisprinzipien von „Nettikette“ und respektvollem Umgang wahrt, versteht sich. Die Fragen können sich rund um das Thema „Trauma“ und „Viele sein“ drehen, müssen es aber nicht. Die gesamte Bandbreite an kreativen Fragen oder Schreibaufgaben steht euch offen. 😉

Die Kommentare wollen also ab sofort hier gefüttert werden und freuen sich auf jede von eueren Anregungen, Rückmeldungen und Ideen. Wir werden sie anschließend, in einem oder mehreren Beiträgen so gut wie möglich umsetzen.

Das wird spannend, aber wir freuen uns drauf!

Ganz liebe Grüße,
Sofie und euere bunten Schmetterlinge 😊🦋💫

„Der Tag an dem mein Leben verschwand“

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Naomi ist 32 Jahre alt und alleinerziehende Mutter eines Sohnes. Eines Morgens wacht sie auf und kann sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Ihr Leben wird zum Fragezeichen. So beginnt für sie eine Spurensuche nach den Schlüsseln der Vergangenheit, die den Gedächtnisverlust ausgelöst haben.

Diese Kurzzusammenfassung würde wahrscheinlich auch auf dem Umschlag eines Kriminalromanes gut ankommen. Hier handelt es sich aber um eine wahre Geschichte. Das 412 Seiten dicke Taschenbuch haben wir uns zugelegt, als wir mal wieder einfach Lust auf etwas Lesestoff hatten. Erwartet haben wir eine gelungene Kombination von erlebter Realität und schreiberischem Knowhow. Im besten Fall also sowas, wie einen wahren Krimi. Weiterlesen

Stephanie Ilan oder auch: Das Grauen jeder aufgeklärten Frau lebt

Manchmal schaue ich gerne Talkshows wie den „Kölner Treff“. Seit ich selbst keinen Fernseher mehr habe, nutze ich öfter die Möglichkeit die Sendungen im Nachhinein im Internet zu verfolgen. Dabei stolperte ich über die Ausgabe vom 15.12.2017 in der Ilan Stephanie ca. ab der sechsundzwanzigsten Minute über ihre Erfahrungen mit Prostitution spricht. Ihr Buch „Lieb und Teuer“ erklomm die Bestsellerlisten. Meine Reaktion lag irgendwo zwischen Tobsuchtsanfall und kotzen.
Wer sich ihre – nicht nur für triggerbare Gemüter ungeeigneten – Aussagen selbst antun möchte, findet die Sendung hier:

Auf ihr Buch hat die Menschheit gewartet. Endlich findet sie Entlastung aus der Verantwortung um die miserablen Zustände in Prostitution und Menschenhandel. Die Freier können die Nutten wieder hemmungslos ficken, weil sie endlich Bestätigung finden, dass die lächelnden Maske der Prostituierten doch zu rechtfertigen, wenn nicht sogar echt ist. Also weshalb noch darüber nachdenken, warum die Frau das macht und was ihre Geschichte ist!? Endlich kann man wieder guten Gewissens in den Puff gehen. Schließlich ist das Image doch sauberer als gedacht und Ausbeutung lange nicht überall… Die Stephanie sagt’s doch schließlich auch!
So ziemlich allen Menschen, die in der Vergangenheit gegen die Ausbeutung in der Prostitution gekämpft haben, dürfte sich dabei der Magen umdrehen. Mit einem einzigen kleinen Fußtritt in Form dieser miserablen Lektüre wäscht Ilan die Gewissenswesten der Otto Normalverbraucher rein und eröffnet eine wunderbare Fluchttür aus der Auseinandersetzung mit den wirklichen Verhältnissen in der Prostitution. Sie verschleiert mehr, als dass sie Tatsachen aufdecken würde, geht hingegen selbst Lügen von Branche und Kolleginnen auf dem Leim. Wo bleibt die Reflexion und der Blick hinter die Fassade!? Man schreibt nur über ein System, wenn man es wirklich kennt und nicht, wenn man mit der Oberfläche kuscheln durfte. Dann nämlich besteht die Gefahr, dass man, wie hier Ilan, auch die Oberfläche nicht wirklich bewerten kann, weil man die Mechanismen dahinter nicht versteht. Es fehlt schlicht die Interpretationsgrundlage der Erfahrung.
Manchmal wäre Schweigen eben doch Gold.

Zwei Jahre arbeitete die Gute in einem Berliner Bordell. Selbstverständlich hat sie in dieser Zeit die Branche durchschaut und festgestellt, dass es durchaus Frauen gibt, die ganz freiwillig Prostituierte sind. Sie hätten keine negativen Vorerfahrungen, wie sexuellen Missbrauch erlebt und machten den Job gerne. Sie selbst sei rein aus Interesse in den Markt eingestiegen. Das Problem: Sie spricht nun als „Fachfrau“ über ein Milieu, von dem sie selbst nichts, ja noch nicht mal die Spitze des Eisberges kennt. Sie hat für viele Männer die Beine breit gemacht hat. Das hätte sie aber auch privat in ihrem Wohnzimmer haben können. Der Lerneffekt zum System „Prostitution“ wäre der gleiche gewesen – Null.
In der Zeit im Puff sei sie auch gefühlt vergewaltigt worden. Natürlich könne man aber dem Freier/Täter überhaupt keinen Vorwurf machen. Er war ja schließlich im Puff und hätte es ja nicht besser gewusst. Natürlich habe er „nichts illegales“ getan. Es sei rein ihr Empfinden gewesen.
Dies ist nur eine ihrer Aussagen, die allen negativen Klischees wie „Eine Prostitiuierte kann nicht vergewaltigt werden“ unnötig Stoff bieten.
Mit der Zwischenfrage ob es „Fair trade Puffs“ tatsächlich gibt, traf Pufpaff einen empfindlichen Nerv der Debatte. Angeblich gehörten alle Angestellten des Etablissements, in dem die Autorin arbeitete, in diese Kategorie.

In der Süddeutschen Zeitung betont sie:
„Der Job des Freiers ist oft härter als der einer Prostituierten.“
What the f… oh sorry, unpassend bei dem Thema. Aber was zur Hölle soll das denn heißen!? Sie erklärt es direkt mit ihren Thesen: Die Männer müssten ja ausblenden, dass eigentlich gar keine Erotik stattfinde und die Frauen ihnen etwas vormachen.
Öhm, ja bzw. nein! Genau deswegen gehen sie doch da hin. Weil sie nicht über die Menschlichkeit des Gegenübers nachdenken wollen, weil sie ihre Komplexe und Vorlieben dort einfach unreflektiert ausüben wollen und weil es noch nie, aber auch wirklich noch nie in der Prositiution um Sex ging. Es geht um die blanke Macht. „Ich habe bezahlt und du tust was ich sage, ob dir das passt oder nicht!“ Der Freier bestimmt.
Einige Zeilen weiter sagt Ilan im Interview:
„[…] selbst wenn man davon ausgehen würde, dass 95 Prozent aller Frauen in die Prostitution gezwungen werden, gäbe es bei geschätzt 400 000 Prostituierten in Deutschland immer noch 20 000 Frauen, die sagen: „Alice, mir geht’s im Puff besser als davor in meinem Bürojob.“
Ja, richtig: Sie sagen das. Aber was dahinter steckt muss nichts Gutes heißen. Die Lösung finanzieller Nöte etwa ist kein „besser gehen“ im Sinne einer erhaltenen Menschenwürde und Gewaltfreiheit. 20.000 Menschen klingt erst mal nach einer Menge. Ist aber gesehen auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands die Nadel im Heuhaufen. Außerdem bezweifle ich grundsätzlich stark, dass die Frauen das auch so meinen und gut mit einem traumaerfahrenen Dissoziationsspezialisten reflektiert haben.  Die Dissoziationsrate auf dem Straßenstrich und in den Bordellen beträgt nämlich 100%. Das sich die Frauen abschalten, wird jede bestätigen. Anders könnte man den Job gar nicht machen. Wir hätten selbst gesagt es geht uns gut in den Strukturen in denen wir aufgewachsen sind, sobald uns jemand danach gefragt hätte. Natürlich wären wir, wie antrainiert, freiwillig da gewesen. Die Realität ist eine andere!

SZ: Es gibt Schätzungen der Polizei, die besagen, dass etwa 80 Prozent der Frauen in Deutschland sich nicht freiwillig prostituieren.
(Anmerkung meinerseits: Wenn das schonmal sogar die Polizei sagt…)
Die Frage ist: Was ist freiwillig? Gehen Sie freiwillig zur Arbeit? […]“
Da fehlen mir nur noch die Worte! Allein der Vergleich ist eine bodenlose Frechheit und zeigt wie wenig Stephanie Ilan wirklich verstanden hat. Denn in der Regel geht man sehr wohl freiwillig zur Arbeit, auch wenn sie manchmal mehr oder weniger lästig ist. Man verdient sich seinen Lebensunterhalt und wenn man nicht mehr möchte, kann man auch jederzeit zu Hause bleiben. Außer dem Wegfall des Gehaltes hätte man wohl nichts zu befürchten.
Das kann eine Prostitiuierte nicht. Ihr Leben ist zumindest psychisch davon abhängig nicht damit aufzuhören. Was hinter der Fassade von sogenannten Freudenhäusern vor sich geht, ist für die Seele der Hure das Grauen, dass niemand unbeschadet übersteht. Das kommt zurück, wenn die Dissoziation durch die Fortführung der Tätigkeit langsam absinkt. Es gibt immer mindestens die psychische Abhängigkeit. Dazu können die Zuhälter und/oder eine entsprechende Vorgeschichte kommen. Ausstieg aus der Prostituion heißt wie bei einem Junkie Entzug – Entzug von körpereigenen Opiaten und Endorphinen, die zur Linderung der Not ausgeschüttet wurden.
Dass übrigens auch Ilan Unterstützung danach nötig hatte, erwähnt die „glückliche Hure“ leider nur in einem Nebensatz.

Rp-online schreibt:
„[…] man könnte sagen, Stephani war eine Prostituierte, die es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gibt: Sie fühlte sich die ganze Zeit über frei und selbstbestimmt.“   
Zu recht. Die gibt es nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung nicht, sondern das ist Fakt. Auch wenn Stephanie keinen Missbrauch erlebt hat und keine anderen Traumata zu haben scheint, wie sie von sich selbst behauptet, glaube ich nicht an wirkliche Freiheit und Selbstbestimmtheit. Sie bestimmte rein äußerlich den Punkt des Einstiegs und des Ausstieges in das Milieu. Das mag sein. Welche inneren Mechanismen dazu führten sei dahingestellt.

Im gleichen Artikel sagt Ilan: „Zweitens, ich differenziere „Sex gegen Geld“ und „Sex unter Zwang““
Und wir differenzieren Sex und Machtausübung mit sexuellen Mitteln in der Prostitution! Und zur Machtausübung zählen wir übrigens auch das ach so nette Gespräch mit dem Freier, der meint alles erzählen zu dürfen und ein Anrecht auf Zuwendung zu haben, nur weil die Moneten rüber gewachsen sind. „Sex gegen Geld“ ist eben nicht „Sex auf Augenhöhe“. Das sind Gesellschaftliche Missstände. Punkt. Nichts davon ist besser oder schlechter.

SZ: Weshalb haben Sie aufgehört?
Ich habe mich gelangweilt.
Tja, so ist das, wenn man dissoziiert…

Byron Katie und „The Work“

Auf verschiedenen Blogs (Birke – Zeitenmosaik, Sophie 0816) habe ich in letzter Zeit etwas zu „The Work“ von der Autorin Byron Katie gelesen. Das hat mich dazu angeregt meine Gedanken zu der Urheberin des Konzeptes zu posten.

Eines vorab: Ich habe selbst nie mit dem Konzept „The Work“ gearbeitet und möchte auch die Wirksamkeit weder bewerten, noch in Frage stellen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es sehr hilfreich sein kann Gedankenkreisläufe zu hinterfragen. Das wird in der kognitiven Therapie ja auch gemacht. Die Autorin kenne ich nicht persönlich und weiß nicht mehr als das, was Sie öffentlich über sich erzählt.
Dennoch sei es mir an dieser Stelle erlaubt meine Gedanken offen in den Raum zu stellen, auch wenn ich damit falsch liegen kann. Ihre Geschichte passt meiner Meinung nach gut zum Thema „Dissoziation“.

Byron Katie ist 1943 geboren. Ihre Bücher sind mittlerweile Bestseller. Darin schreibt sie über ein System an Fragen zur Selbsterkenntnis, dass sie von ihren schwerwiegenden psychischen Problemen befreite.
Sie selbst litt Jahrelang unter schweren Depressionen, Selbsthass, starken Ängsten und ging nie ohne einen Revolver unter dem Kissen schlafen. Dazu kam eine starke Essstörung mit Essattacken, die ihr Gewicht in die Höhe trieb. Irgendwann brachte man sie in eine Klinik. Dort hatte das Personal Angst um andere Patienten und ließ sie deshalb in einer Dachkammer schlafen. In diesem Zimmer erlebte sie in einer Nacht ihr „Erleuchtungserlebnis“, dass ihr von heute auf Morgen alle Sorgen und Ängste genommen zu haben scheint. Es sei nicht mehr als das große Nichts geblieben, überschwängliche Freude, die für Jahren anhielt und der Grundgedanke für „The Work“, sagt sie selbst dazu.
Alles paletti – Wunder soll es ja geben.
Ihren Mann und ihre drei Kinder erkennt sie allerdings bis heute seit dieser Nacht nicht mehr. Das erzählt sie in einem Artikel des Engel-Magazins. Ihrer Familie ging es umgekehrt ähnlich. Die Mutter und die Frau, die sie in die Klinik gebracht haben, war plötzlich verschwunden.

Mich machte das beim Lesen stutzig. Die Schilderung ihrer Geschichte lässt mich viel mehr an traumatische Dissoziation denken, als an das so hoch gefeierte „Erleuchtungserlebnis“. Persönlich erwarte ich bei einem derartigen spirituellen Ereignis ein Wunder, das zu Selbsterkenntnis und Heilung führt. Dazu gehört für mich aber auch gleichzeitig die liebevolle Integration der Vergangenheit.
Genau das ist hier nicht passiert. Byron Katie beginnt mit 43 Jahren ein völlig neues Leben, nach einer Nacht, die alles zuvor da gewesene ausradiert.
Sie Dis-tanziert.
Vergleichbare Fälle gibt es auch in Deutschland. Da gibt es etwa im letzten Jahr den Mann, der mit seiner Geschichte durch die Medien geht. Mitte 2017 wird er in der Bahn aufgefunden und erinnert sich an nichts mehr. Ärzte und Polizei wissen nicht, was vorgefallen ist. Sie suchen schließlich auch über die Medien nach seiner Identität. Psychiater stufen den sonst kompetent wirkenden Mann als völlig glaubwürdig ein und stellen die Diagnose der dissoziativen Amnesie.
Trauma unbekannt.
Seine Familie identifiziert ihn schließlich.
Damit ist er längst nicht der einzige.
Der Seelenschutz der Dissoziation krempelt das Leben dieser Menschen um, um in einer Ausweglosen Situation überleben zu können.
In der Geschichte der Autorin spielt im weiteren Verlauf Rationalisieren eine entscheidende Rolle. Ebenfalls eine Form der Dissoziation.
Wenn ich nicht so denken würde, sondern….
…dann würde ich mich auch anders fühlen.
Also ändere ich den Satz in meinem Kopf.
Wenn ich mich anstrenge bessere Gedanken zu haben, dann ist auch die Welt um mich herum gleich viel besser. Ich glaube einfach nicht mehr, dass mir eine bestimmte Situation scheiß Gefühle macht.
Als alleinige dauerhafte Methode führt das eher zum Selbstverlust, als zur Selbsterkenntnis.
Alles ist nur in meinem Kopf real. Wenn ich es nicht wahrhaben will, ist es auch nicht. Inneres victim blaming alla ich suche die Verantwortung für mein Leben nur noch bei mir und sehe mir meine Umgebung nicht mehr an, weil ich manchmal eben doch daran was ändern müsste!?
Auch die negative Außenwelt ist eben von Zeit zu Zeit Realität.

Warum aber interessiert mich das überhaupt?
Ich könnte sagen: „Gut, wenn es Katie einfach wunderbar geht seitdem – Who cares? Wenn das auch noch anderen gut tut – Who cares?“ Andererseits denke ich: „Wenn das was sie lebt Dissoziation ist, verpasst sie verdammt viel und eine falsche, bzw. nicht gestellte Diagnose führt mittlerweile hunderttausende von Lesern ihrer Bücher in die Irre, weil sie unter Umständen auf die gleiche „Erleuchtung“ hoffen.“ So angewandt heilt sie nicht, sie hilft zu dissoziieren.

Die überschwängliche Freude, die sie nach der Nacht in der Klinik beschreibt und das Gefühl, als ob alle Grenzen und Dinge sich auflösen, ist mir nicht minder bekannt. Der Hormoncocktail den Traumata und Trigger bei mir auslösten schaffte das früher oft von heute auf morgen über weite strecken des Alltags. Er ließ mich alle Schrecken für eine gewisse Zeit völlig vergessen. Mir ging es blendend. Ich flog im Überschwang. War ich nun in diesen Phasen erleuchtet, weil ich plötzlich Freude empfinden konnte? Wohl sicher nicht… War ich in diesen Phasen gesund? Wohl auch eher nicht…

Im Grunde macht sie nicht viel anderes, als kognitive Verhaltenstherapie. Sie verkauft es nur besser. Hier stelle ich mir die Frage, ob sich ihre Texte ohne den spirituellen Kram im Hintergrund und die Suggestion von Einfachheit so gut an die Leser bringen lassen würden. Ich denke eher nicht, weil die göttlich abgesegnete Möglichkeit zur Realitätsverdrehung und -flucht dann fehlt. Die Leugnungsscheuklappen fallen aus. Denn Negatives gibt es dann nunmal.
Immer wenn für eine Seite im Leben kein Platz mehr ist, läuft für mich etwas gewaltig schief.
Heilung ist und bleibt harte Arbeit. Da helfen vier Fragen vielleicht manchmal, aber sie streicheln sicher nicht alle Wunden weg. Es ist völlig ok in der Herangehensweise ihrer Bücher hilfreiches zu finden, genauso, wie in anderen Selbsthilfebüchern hilfreiches stecken kann. Allwissend und die einzige Lösung sind sie nicht.
Auf keinem einzigen ihrer Videos auf YouTube macht sie auf mich den Eindruck, in ihrer Mitte zu sein. Ich kann das Leuchten nicht spüren. Für mich wirkt sie aufgesetzt, teils hart, wenig bodenständig. Ihre Augen blicken hinter der Fassade ungreifbar und leer.
Vielleicht empfinden andre da anders.

Ich glaube, dass so einige dissoziative Patienten, die zum ersten Mal den Schrecken, der in ihrem Leben passiert ist benennen und den Mut haben all dem Schmerz in ihnen einen Namen zu geben, näher an sich und damit auch an der „Erleuchtung“ sind, als diese Frau.

Quellen:
– „Ich liebe was ist“, Engelmagazin, Ausgabe Januar/Februar 2018, S. 31;
https://realization.org/p/byron-katie/massad.byron-katie-interview/massad.byron-katie-interview.1.html
http://thework.com/en/about-byron-katie
https://www.mystica.tv/byron-katie_interview/
https://www.morgenpost.de/vermischtes/article211539507/Wer-ist-der-Mann-ohne-Gedaechtnis.html
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/wer-kennt-diesen-mann–der-mann-ohne-gedaechtnis-10699546

„Trotz allem“-Wut

Vor vielen, vielen Jahren, bei unserer ersten kompetenten Therapeutin, bekamen wir von Ihr das Buch „Trotz allem“ zum lesen ausgeliehen. Was wir damals daran so besonders toll fanden, ist die Tatsache, dass uneingeschränkt an die Erinnerungen der Betroffenen geglaubt wurde. Das selbst dann vertrauen in die Gefühle bestand, wenn konkrete Erinnerungen fehlten und die Überlebende „nur“ einem innerem Instinkt folgte. Damals waren meine Zweifel noch deutlich größer und übermächtiger im Vergleich zu heute. Nur kleine diffuse Bruchstücke drangen durch das Schwarz meines Erinnerns. Der klare Standpunkt der Autorinnen erleichterte es mir meinen Weg zu finden und mich auf mich selbst einzulassen. Um zu begreifen was meine eigene Geschichte ist, war und ist es für mich elementar wichtig, dass es Menschen um mich gibt, die für mich die Fahne hochhalten und glauben, wo ich selber vor Verwirrung gar nichts mehr glauben kann. Das Buch war damals ein Teil davon. Nur so konnte ich überhaupt kritisch hinschauen, was in meinem Kopf los ist und mir selbst ein Bild davon machen, was ich letztendlich glaube. Mit Wischiwaschi-hätte-wenn-könnte-wäre-Aussagen, wäre ich keinen Schritt weiter gekommen. Es war das „Du schaust dir das jetzt an und deine Meinung kannst du danach immer noch ändern, weil ich daran glaube, dass an deinen Bildern was wahres dran ist“, das mich hat wachsen und erkennen lassen.

Nun hielt ich gerade die neue Auflage von „Trotz allem“ von Ellen Bass und Laura Davis in den Händen und stellte mit bedauern fest, dass die Eindeutigkeit an manchen Stellen gewichen ist. Man ist vorsichtiger in den Aussagen geworden. Als Leserin habe ich Eindruck bekommen, dass auch hier die Debatte um „Falsche Erinnerungen“ zu einem Zurückrudern in der Eindeutigkeit geführt hat. „Überlebende werden sich zwangsläufig etwas ungenau an die Einzelheiten des Missbrauchs erinnern“, heißt es etwa im Kapitel „Die Grundlegende Wahrheit der Erinnerung“. Nein! werden sie nicht! Wir haben durchaus sehr genaue Erinnerungen! Zwar werden die Erinnerungen und Gefühle an dieser Stelle noch als Hinweis für etwas genommen, was passiert ist und sehr verletzt hat. Dass es Eins zu Eins so war, wird allerdings in Frage gestellt. So wird auf Seite 138 ausgeführt: „Manche Frauen Erinnern sich nicht, weil es keine physischen Übergriffe gab. Stattdessen warst du vielleicht einer Atmosphäre, unangemessener Grenzen, anzüglicher Blicke oder einem unangebrachten romantischen Verhalten ausgesetzt.“ Unterlegt wird die Behauptung mit dem Beispiel einer Betroffenen: „Ich war drei Jahre lang in Therapie und habe geforscht, in Erwartung eine Vergewaltigung oder ein anderes Ereignis aufzudecken, wo er mich tatsächlich belästigt hat. Doch er hat nichts dergleichen getan. Es war alles emotional.“
Wir finden solche Aussagen mehr als schwierig, zumal wir denken, dass sich eine Frau nicht vergewaltigt fühlt, weil die Atmosphäre nicht stimmt. Außerdem würde mich an der Stelle interessieren, wie die Frau zu der Einsicht kam, dass es letztlich nicht so war. Nur weil sich eine bildhafte Erinnerung nicht zeigt, belegt das nicht die Unrichtigkeit von Gefühlen. Wenn der Körper nicht weiß, was es bedeutet vergewaltigt zu werden, wird keine Frau der Welt plötzlich in jeder ihrer Körperzellen genau das fühlen können. Wie soll ein Körper speichern, was er nicht kennt!?
Über die Aussage „Langfristig ist es besser, deine Ungewissheit anzuerkennen, als vorzeitig etwas zu benennen, dessen du dir nicht sicher bist“ (S.139) könnten wir dann nur noch kotzen. Die Täter werden sich freuen und das Opfer kommt keinen Schritt mehr vom Fleck, weil es sich mit seinen Gefühlen nie Vertrauen darf, oder wie!? Genau diese Vertrauen braucht es doch aber, um irgendwann Sicherheit finden zu können. Egal wie sie am Schluss aussieht.
Es braucht Klarheit! Es ist wichtig zunächst davon auszugehen, dass es genau so war, wie es erinnert wird und von diesem Standpunkt weiter zu gehen. Anders kann man Verzerrungen, sofern sie überhaupt vorhanden sind, nicht aufdecken.
Aus einem Buch, dass vorher uneingeschränkt empfehlenswert war, ist durch das angepriesene „Überarbeitungs- und Zusatzmaterial“ in der Neuauflage ein Eiertanz geworden, bei dem klare Aussagen sich doch selbst zu vertrauen und zu glauben, im nächsten Moment wieder untergraben werden.
Ein Großteil des Inhaltes ist empfehlenswerter Lesestoff zum Thema Missbrauch, sofern man die Verunsicherung ausblenden kann, die den Weg ins Buch geschafft hat.
Diese Entwicklung finden wir sehr schade!