Die Ware Frau

Ich muss zugeben, ein Thema treibt uns derzeit mal wieder besonders um: Prostitution. Seit langem haben wir persönlich eine sehr strikte Meinung dazu. Für uns gibt’s da wenig zu diskutieren. Prostitution ist Gewalt. Wenn wir Prostitution legalisieren entscheiden wir uns als Gesellschaft dafür bestimmte Formen der Gewalt zu akzeptieren. Warum!? Ist Gewalt weniger Gewalt, nur weil Lust im Spiel ist!?

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Triggerwarnungen

Immer wieder erreichen uns freundliche Nachfragen, ob wir nicht hin und wieder doch Triggerwarnungen setzen könnten. Die Bitte darum verstehen wir gut. Deshalb haben wir lange und sorgfältig darüber nachgedacht. Unser Ergebnis wollen wir euch hier mitteilen und unsere Entscheidung diesbezüglich transparent machen.
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Der IMAGO-Prozess

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Wenn eine Rezension auf dem Blog hier nicht fehlen sollte, dann ist es wohl die über das Buch vom Veränderungsprozess einer Raupe bist zum Schmetterling. 😉
Susanne Hühn trifft mit ihrem Buch „Der IMAGO-Prozess“ genau unseren „Schmetterlingsnerv“. Zur Lektüre lockt uns nicht nur der farbenfrohe pinke Einband, sondern tatsächlich auch der Inhalt.

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Kinder erwünscht!?

Die lieben Sonrisas haben beim Beitrag für euere Fragen das Thema des Kinderwunsches aufgeworfen. Dem möchten wir uns hier in diesem Beitrag nun widmen.

Für uns selbst ist diese Frage schon immer ganz klar zu beantworten. Ja, wir wollen Kinder und wir freuen uns auch auf die Mutterschaft. Ich habe keine Angst davor, dass es meine Kinder in irgendeiner Form nicht gut bei uns haben werden. Sicher kann es passieren, dass wir Fehler machen. Die machen aber nicht traumatisierte Eltern ebenso. Ich bin der Meinung, dass wir ausreichend reflektiert sind und therapeutische Hilfe in Anspruch genommen haben, um verantwortungsbewusst mit unserer Geschichte umgehen zu können und sie nicht einfach auf’s Kind zu projizieren. An dieser Stelle möchte ich sogar behaupten, dass Kinder, die bei entwicklungswilligen traumatisierten Müttern aufwachsen bessere Chancen auf eine gute Kindheit haben, als Kinder, die mit Elternteilen aufwachsen, die im Bezug auf Gewalt frei nach dem Motto „Mir hat’s doch auch nichts geschadet“ agieren. Egal ob komplexe Traumata in der Vorgeschichte bestehen oder nicht, halte ich die reflektierte Auseinandersetzung mit Gewalt in all ihren Formen und den eigenen Ebenen von Betroffenheit für eine gute Mutterschaft ohnehin für unabdingbar.

Natürlich kann eine Viele-Mama auch mit sehr speziellen Problemen zu kämpfen haben und extreme Gefahren für das Kind mitbringen. Das sehe ich vor allem dann gegeben, wenn die eigene Sicherheit noch nicht gewährleistet ist und der Täterkreis nach wie vor Zugriff auf ihr System hat. Aber nicht nur die Täter könnten dann eine Gefährdung darstellen. Auch im Innensystem muss klar sein, dass keine Übergriffe, Gewalt oder Reinszenierungen auf das Kind bezogen stattfinden dürfen. Des Weiteren, sollte man sicher als Persönlichkeitsteam so stabil sein, dass man das Kind gut versorgen kann und es eine kompetente, nicht ständig ambivalente Mutter vor sich hat. Wechsel von Innenpersonen müssten an dieser Stelle kindgerecht und altersentsprechend kommuniziert werden. Ich finde es nicht zwingend dramatisch schlimm, wenn es Phasen gibt, in denen einem Elternteil mal alles zu viel ist oder man sehr traurig ist und Unterstützung braucht. Das ist nichts Furchtbares. Es ist aber ganz entscheidend, dass die Mutter sich bei Bedarf auch Hilfe sucht und annimmt. Ich glaube es geht mehr darum, wie gut sie letztlich dem Kind klären kann, was mit der Mama los ist ohne die Verantwortung abzuschieben oder aus dem liebevollen Kontakt zu gehen. Sie muss als Vertrauensperson beständig ansprechbar sein. Dafür braucht die Mutter auch ein Gefühl für gesunde Grenzen und zwar sowohl auf Seite des Kindes, als auch für ihre eigenen. Im besten Fall ist da wohl schon etwas an Therapiearbeit vorweg geleistet. Für uns ist klar, dass die Erziehung eines Kindes viele Triggerpotentiale beinhaltet, denen wir uns schon vor der Schwangerschaft bewusst sind. Hierfür wollen wir zumindest bereits theoretisch Strategien und „Trockenübungen“ für den Umgang haben, bevor unser Baby schlüpft. Die Realität wird dann sicher ohnehin nochmal fordernder.

Probleme und Schwierigkeiten kann es also in jeder Familie geben. Ob mit oder ohne DIS, Mono- oder Komplextrauma oder auch als komplett traumafreier Mensch – es gibt in jeder Sparte völlig ungeeignete Elternpersönlichkeiten und sehr gute und liebevolle Eltern, die ihre Aufgaben ernst nehmen.
Wenn es im Elternleben wirklich mal dick kommt, ist man Gott sei Dank als Eltern immer mindestens zu zweit. Der Vater ist ja schließlich auch noch da. Die DIS ist für mich sicher kein Grund keine Kinder zu bekommen. Genau so wenig, wie die traumatischen Erfahrungen als einen Makel an unserer Person gesehen werden können. Ich halte mich durchaus für eine starke Löwenmama mit ganz vielen bunten Facetten, die ich meinem Nachwuchs mal zu bieten habe. Darauf gespannt bin ich jetzt schon und freue mich sehr auf die Zeit.

Stephanie Ilan oder auch: Das Grauen jeder aufgeklärten Frau lebt

Manchmal schaue ich gerne Talkshows wie den „Kölner Treff“. Seit ich selbst keinen Fernseher mehr habe, nutze ich öfter die Möglichkeit die Sendungen im Nachhinein im Internet zu verfolgen. Dabei stolperte ich über die Ausgabe vom 15.12.2017 in der Ilan Stephanie ca. ab der sechsundzwanzigsten Minute über ihre Erfahrungen mit Prostitution spricht. Ihr Buch „Lieb und Teuer“ erklomm die Bestsellerlisten. Meine Reaktion lag irgendwo zwischen Tobsuchtsanfall und kotzen.
Wer sich ihre – nicht nur für triggerbare Gemüter ungeeigneten – Aussagen selbst antun möchte, findet die Sendung hier:

Auf ihr Buch hat die Menschheit gewartet. Endlich findet sie Entlastung aus der Verantwortung um die miserablen Zustände in Prostitution und Menschenhandel. Die Freier können die Nutten wieder hemmungslos ficken, weil sie endlich Bestätigung finden, dass die lächelnden Maske der Prostituierten doch zu rechtfertigen, wenn nicht sogar echt ist. Also weshalb noch darüber nachdenken, warum die Frau das macht und was ihre Geschichte ist!? Endlich kann man wieder guten Gewissens in den Puff gehen. Schließlich ist das Image doch sauberer als gedacht und Ausbeutung lange nicht überall… Die Stephanie sagt’s doch schließlich auch!
So ziemlich allen Menschen, die in der Vergangenheit gegen die Ausbeutung in der Prostitution gekämpft haben, dürfte sich dabei der Magen umdrehen. Mit einem einzigen kleinen Fußtritt in Form dieser miserablen Lektüre wäscht Ilan die Gewissenswesten der Otto Normalverbraucher rein und eröffnet eine wunderbare Fluchttür aus der Auseinandersetzung mit den wirklichen Verhältnissen in der Prostitution. Sie verschleiert mehr, als dass sie Tatsachen aufdecken würde, geht hingegen selbst Lügen von Branche und Kolleginnen auf dem Leim. Wo bleibt die Reflexion und der Blick hinter die Fassade!? Man schreibt nur über ein System, wenn man es wirklich kennt und nicht, wenn man mit der Oberfläche kuscheln durfte. Dann nämlich besteht die Gefahr, dass man, wie hier Ilan, auch die Oberfläche nicht wirklich bewerten kann, weil man die Mechanismen dahinter nicht versteht. Es fehlt schlicht die Interpretationsgrundlage der Erfahrung.
Manchmal wäre Schweigen eben doch Gold.

Zwei Jahre arbeitete die Gute in einem Berliner Bordell. Selbstverständlich hat sie in dieser Zeit die Branche durchschaut und festgestellt, dass es durchaus Frauen gibt, die ganz freiwillig Prostituierte sind. Sie hätten keine negativen Vorerfahrungen, wie sexuellen Missbrauch erlebt und machten den Job gerne. Sie selbst sei rein aus Interesse in den Markt eingestiegen. Das Problem: Sie spricht nun als „Fachfrau“ über ein Milieu, von dem sie selbst nichts, ja noch nicht mal die Spitze des Eisberges kennt. Sie hat für viele Männer die Beine breit gemacht hat. Das hätte sie aber auch privat in ihrem Wohnzimmer haben können. Der Lerneffekt zum System „Prostitution“ wäre der gleiche gewesen – Null.
In der Zeit im Puff sei sie auch gefühlt vergewaltigt worden. Natürlich könne man aber dem Freier/Täter überhaupt keinen Vorwurf machen. Er war ja schließlich im Puff und hätte es ja nicht besser gewusst. Natürlich habe er „nichts illegales“ getan. Es sei rein ihr Empfinden gewesen.
Dies ist nur eine ihrer Aussagen, die allen negativen Klischees wie „Eine Prostitiuierte kann nicht vergewaltigt werden“ unnötig Stoff bieten.
Mit der Zwischenfrage ob es „Fair trade Puffs“ tatsächlich gibt, traf Pufpaff einen empfindlichen Nerv der Debatte. Angeblich gehörten alle Angestellten des Etablissements, in dem die Autorin arbeitete, in diese Kategorie.

In der Süddeutschen Zeitung betont sie:
„Der Job des Freiers ist oft härter als der einer Prostituierten.“
What the f… oh sorry, unpassend bei dem Thema. Aber was zur Hölle soll das denn heißen!? Sie erklärt es direkt mit ihren Thesen: Die Männer müssten ja ausblenden, dass eigentlich gar keine Erotik stattfinde und die Frauen ihnen etwas vormachen.
Öhm, ja bzw. nein! Genau deswegen gehen sie doch da hin. Weil sie nicht über die Menschlichkeit des Gegenübers nachdenken wollen, weil sie ihre Komplexe und Vorlieben dort einfach unreflektiert ausüben wollen und weil es noch nie, aber auch wirklich noch nie in der Prositiution um Sex ging. Es geht um die blanke Macht. „Ich habe bezahlt und du tust was ich sage, ob dir das passt oder nicht!“ Der Freier bestimmt.
Einige Zeilen weiter sagt Ilan im Interview:
„[…] selbst wenn man davon ausgehen würde, dass 95 Prozent aller Frauen in die Prostitution gezwungen werden, gäbe es bei geschätzt 400 000 Prostituierten in Deutschland immer noch 20 000 Frauen, die sagen: „Alice, mir geht’s im Puff besser als davor in meinem Bürojob.“
Ja, richtig: Sie sagen das. Aber was dahinter steckt muss nichts Gutes heißen. Die Lösung finanzieller Nöte etwa ist kein „besser gehen“ im Sinne einer erhaltenen Menschenwürde und Gewaltfreiheit. 20.000 Menschen klingt erst mal nach einer Menge. Ist aber gesehen auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands die Nadel im Heuhaufen. Außerdem bezweifle ich grundsätzlich stark, dass die Frauen das auch so meinen und gut mit einem traumaerfahrenen Dissoziationsspezialisten reflektiert haben.  Die Dissoziationsrate auf dem Straßenstrich und in den Bordellen beträgt nämlich 100%. Das sich die Frauen abschalten, wird jede bestätigen. Anders könnte man den Job gar nicht machen. Wir hätten selbst gesagt es geht uns gut in den Strukturen in denen wir aufgewachsen sind, sobald uns jemand danach gefragt hätte. Natürlich wären wir, wie antrainiert, freiwillig da gewesen. Die Realität ist eine andere!

SZ: Es gibt Schätzungen der Polizei, die besagen, dass etwa 80 Prozent der Frauen in Deutschland sich nicht freiwillig prostituieren.
(Anmerkung meinerseits: Wenn das schonmal sogar die Polizei sagt…)
Die Frage ist: Was ist freiwillig? Gehen Sie freiwillig zur Arbeit? […]“
Da fehlen mir nur noch die Worte! Allein der Vergleich ist eine bodenlose Frechheit und zeigt wie wenig Stephanie Ilan wirklich verstanden hat. Denn in der Regel geht man sehr wohl freiwillig zur Arbeit, auch wenn sie manchmal mehr oder weniger lästig ist. Man verdient sich seinen Lebensunterhalt und wenn man nicht mehr möchte, kann man auch jederzeit zu Hause bleiben. Außer dem Wegfall des Gehaltes hätte man wohl nichts zu befürchten.
Das kann eine Prostitiuierte nicht. Ihr Leben ist zumindest psychisch davon abhängig nicht damit aufzuhören. Was hinter der Fassade von sogenannten Freudenhäusern vor sich geht, ist für die Seele der Hure das Grauen, dass niemand unbeschadet übersteht. Das kommt zurück, wenn die Dissoziation durch die Fortführung der Tätigkeit langsam absinkt. Es gibt immer mindestens die psychische Abhängigkeit. Dazu können die Zuhälter und/oder eine entsprechende Vorgeschichte kommen. Ausstieg aus der Prostituion heißt wie bei einem Junkie Entzug – Entzug von körpereigenen Opiaten und Endorphinen, die zur Linderung der Not ausgeschüttet wurden.
Dass übrigens auch Ilan Unterstützung danach nötig hatte, erwähnt die „glückliche Hure“ leider nur in einem Nebensatz.

Rp-online schreibt:
„[…] man könnte sagen, Stephani war eine Prostituierte, die es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gibt: Sie fühlte sich die ganze Zeit über frei und selbstbestimmt.“   
Zu recht. Die gibt es nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung nicht, sondern das ist Fakt. Auch wenn Stephanie keinen Missbrauch erlebt hat und keine anderen Traumata zu haben scheint, wie sie von sich selbst behauptet, glaube ich nicht an wirkliche Freiheit und Selbstbestimmtheit. Sie bestimmte rein äußerlich den Punkt des Einstiegs und des Ausstieges in das Milieu. Das mag sein. Welche inneren Mechanismen dazu führten sei dahingestellt.

Im gleichen Artikel sagt Ilan: „Zweitens, ich differenziere „Sex gegen Geld“ und „Sex unter Zwang““
Und wir differenzieren Sex und Machtausübung mit sexuellen Mitteln in der Prostitution! Und zur Machtausübung zählen wir übrigens auch das ach so nette Gespräch mit dem Freier, der meint alles erzählen zu dürfen und ein Anrecht auf Zuwendung zu haben, nur weil die Moneten rüber gewachsen sind. „Sex gegen Geld“ ist eben nicht „Sex auf Augenhöhe“. Das sind Gesellschaftliche Missstände. Punkt. Nichts davon ist besser oder schlechter.

SZ: Weshalb haben Sie aufgehört?
Ich habe mich gelangweilt.
Tja, so ist das, wenn man dissoziiert…

# MeToo

Der Hashtag „MeToo“ geht seit über drei Monaten um diese Welt. Er soll es Betroffenen Frauen ermöglichen, das Ausmaß sexueller Gewalt deutlich zu machen. Die Medien berichten fleißig, über immer neue Äußerungen zum Thema aus der High Society.

Wir müssten uns eigentlich „MeToo“ auf die Stirn schreiben – immerhin sind wir Betroffene. Unsere Meinung zu der Kampange fällt allerdings nicht so positiv aus.
Das hat verschiedene Gründe:

Vor der Kritik will ich die Debatte zumindest kurz loben. Wir sind absolut dafür mit der eigenen Geschichte aufzustehen und die Stigmatisierung abzulegen. Die mutigen Frauen die sich bislang daran beteiligten, haben es geschafft die Thematik der sexuellen Gewalt zum Gesprächsthema zu machen.

Was mir nicht gefällt ist die Art und Weise.
„Me too“ heißt nichts anderes als „Ich auch“.
Was ich mich dabei nicht alleine Frage: „Ich auch was!? Was sagt das eigentlich aus?“ Für eines der brisantesten Themen unserer Zeit steht derzeit eine der farblosesten Phrasen dieser Welt.
Ich möchte ein Eis – Ich auch.
Ich war auf einem Konzert – Ich auch.
Ich würde belästigt – Ich auch.
Was all diese Beispiele gemeinsam haben, ist, dass kein Mensch weiß worum es eigentlich geht. Welches Eis? Auf welchem Konzert? Und was um alles in der Welt heißt, dass du auch sexuell belästigst wurdest? Was ist die Handlung, die dahinter steht? Wovon genau sprichst du? Mit dieser MeToo-Antwort ist überhaupt nicht klar worum es geht. Sexuelle Gewalt ist ein so weites Feld, mit so vielen Facetten, dass man jeden Einzellfall definieren muss. Wenn man möchte, dass Menschen sich wirklich mit einer Thematik auseinander setzen, muss man auch dazu sagen, womit sie sich beschäftigen müssen. Das ist Grundvoraussetzung um ernst genommen werden zu können. MeToo bringt gesellschaftlichen Druck das Thema wahrnehmen zu müssen und macht gleichzeitig den großen Fehler, das Thema nicht zu klären. Das löst nichts. Das bringt keiner Betroffenen etwas. Die Kampange ist langfristig geradezu verdammt, als Aufschrei hysterischer Frauen und Druckmittel von Emanzen gegen Männer unterzugehen. Es führt zu Nebenkriegsschauplätzen, die mich extrem wütend machen. Da fangen beispielsweise Männer allen Ernstes an zu fragen, wie sie sich denn noch verhalten dürfen, ohne beim Flirten der Belästigung bezichtigt zu werden. „Wie ein normaler respektvoller Mann!“, möchte ich diese Kerle anschreien, weil es darum schlicht überhaupt nicht geht. Sexuelle Gewalt und Belästigung hat NICHTS mit einem Flirt zu tun! Ein Flirt ist ein empathisches Ausloten von gegenseitigen Gefühlen. Belästigung und sexuelle Gewalt ist Grenzüberschreitung und Lust auf Macht, völlig ohne Rücksicht auf das Gegenüber. Die ganze Verunsicherung könnte man vermeiden, indem man gerade bei dieser MeToo-Kampagne dazu sagt, worum es sich bei den Vorwürfen handelt. Vielleicht gibt es dann hunderttausend verschiedene Arten betroffen zu sein, aber die gesellschaftlichen Probleme dahinter sind offen benannt.

Wir finden die Möglichkeiten der sozialen Medien zur Öffentlichkeitsarbeit toll. Gerade wenn es kein greifbares Gegenüber mehr gibt, müssen aber die Worte Klarheit schaffen. Sonst macht man es auch den Lesern zu einfach „zu fliehen“. Sexuelle Gewalt ist eben kein Hollywood-Problemchen und „MeToo“ eigentlich kein Aufschrei von Trittbrettfahrern.

Byron Katie und „The Work“

Auf verschiedenen Blogs (Birke – Zeitenmosaik, Sophie 0816) habe ich in letzter Zeit etwas zu „The Work“ von der Autorin Byron Katie gelesen. Das hat mich dazu angeregt meine Gedanken zu der Urheberin des Konzeptes zu posten.

Eines vorab: Ich habe selbst nie mit dem Konzept „The Work“ gearbeitet und möchte auch die Wirksamkeit weder bewerten, noch in Frage stellen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es sehr hilfreich sein kann Gedankenkreisläufe zu hinterfragen. Das wird in der kognitiven Therapie ja auch gemacht. Die Autorin kenne ich nicht persönlich und weiß nicht mehr als das, was Sie öffentlich über sich erzählt.
Dennoch sei es mir an dieser Stelle erlaubt meine Gedanken offen in den Raum zu stellen, auch wenn ich damit falsch liegen kann. Ihre Geschichte passt meiner Meinung nach gut zum Thema „Dissoziation“.

Byron Katie ist 1943 geboren. Ihre Bücher sind mittlerweile Bestseller. Darin schreibt sie über ein System an Fragen zur Selbsterkenntnis, dass sie von ihren schwerwiegenden psychischen Problemen befreite.
Sie selbst litt Jahrelang unter schweren Depressionen, Selbsthass, starken Ängsten und ging nie ohne einen Revolver unter dem Kissen schlafen. Dazu kam eine starke Essstörung mit Essattacken, die ihr Gewicht in die Höhe trieb. Irgendwann brachte man sie in eine Klinik. Dort hatte das Personal Angst um andere Patienten und ließ sie deshalb in einer Dachkammer schlafen. In diesem Zimmer erlebte sie in einer Nacht ihr „Erleuchtungserlebnis“, dass ihr von heute auf Morgen alle Sorgen und Ängste genommen zu haben scheint. Es sei nicht mehr als das große Nichts geblieben, überschwängliche Freude, die für Jahren anhielt und der Grundgedanke für „The Work“, sagt sie selbst dazu.
Alles paletti – Wunder soll es ja geben.
Ihren Mann und ihre drei Kinder erkennt sie allerdings bis heute seit dieser Nacht nicht mehr. Das erzählt sie in einem Artikel des Engel-Magazins. Ihrer Familie ging es umgekehrt ähnlich. Die Mutter und die Frau, die sie in die Klinik gebracht haben, war plötzlich verschwunden.

Mich machte das beim Lesen stutzig. Die Schilderung ihrer Geschichte lässt mich viel mehr an traumatische Dissoziation denken, als an das so hoch gefeierte „Erleuchtungserlebnis“. Persönlich erwarte ich bei einem derartigen spirituellen Ereignis ein Wunder, das zu Selbsterkenntnis und Heilung führt. Dazu gehört für mich aber auch gleichzeitig die liebevolle Integration der Vergangenheit.
Genau das ist hier nicht passiert. Byron Katie beginnt mit 43 Jahren ein völlig neues Leben, nach einer Nacht, die alles zuvor da gewesene ausradiert.
Sie Dis-tanziert.
Vergleichbare Fälle gibt es auch in Deutschland. Da gibt es etwa im letzten Jahr den Mann, der mit seiner Geschichte durch die Medien geht. Mitte 2017 wird er in der Bahn aufgefunden und erinnert sich an nichts mehr. Ärzte und Polizei wissen nicht, was vorgefallen ist. Sie suchen schließlich auch über die Medien nach seiner Identität. Psychiater stufen den sonst kompetent wirkenden Mann als völlig glaubwürdig ein und stellen die Diagnose der dissoziativen Amnesie.
Trauma unbekannt.
Seine Familie identifiziert ihn schließlich.
Damit ist er längst nicht der einzige.
Der Seelenschutz der Dissoziation krempelt das Leben dieser Menschen um, um in einer Ausweglosen Situation überleben zu können.
In der Geschichte der Autorin spielt im weiteren Verlauf Rationalisieren eine entscheidende Rolle. Ebenfalls eine Form der Dissoziation.
Wenn ich nicht so denken würde, sondern….
…dann würde ich mich auch anders fühlen.
Also ändere ich den Satz in meinem Kopf.
Wenn ich mich anstrenge bessere Gedanken zu haben, dann ist auch die Welt um mich herum gleich viel besser. Ich glaube einfach nicht mehr, dass mir eine bestimmte Situation scheiß Gefühle macht.
Als alleinige dauerhafte Methode führt das eher zum Selbstverlust, als zur Selbsterkenntnis.
Alles ist nur in meinem Kopf real. Wenn ich es nicht wahrhaben will, ist es auch nicht. Inneres victim blaming alla ich suche die Verantwortung für mein Leben nur noch bei mir und sehe mir meine Umgebung nicht mehr an, weil ich manchmal eben doch daran was ändern müsste!?
Auch die negative Außenwelt ist eben von Zeit zu Zeit Realität.

Warum aber interessiert mich das überhaupt?
Ich könnte sagen: „Gut, wenn es Katie einfach wunderbar geht seitdem – Who cares? Wenn das auch noch anderen gut tut – Who cares?“ Andererseits denke ich: „Wenn das was sie lebt Dissoziation ist, verpasst sie verdammt viel und eine falsche, bzw. nicht gestellte Diagnose führt mittlerweile hunderttausende von Lesern ihrer Bücher in die Irre, weil sie unter Umständen auf die gleiche „Erleuchtung“ hoffen.“ So angewandt heilt sie nicht, sie hilft zu dissoziieren.

Die überschwängliche Freude, die sie nach der Nacht in der Klinik beschreibt und das Gefühl, als ob alle Grenzen und Dinge sich auflösen, ist mir nicht minder bekannt. Der Hormoncocktail den Traumata und Trigger bei mir auslösten schaffte das früher oft von heute auf morgen über weite strecken des Alltags. Er ließ mich alle Schrecken für eine gewisse Zeit völlig vergessen. Mir ging es blendend. Ich flog im Überschwang. War ich nun in diesen Phasen erleuchtet, weil ich plötzlich Freude empfinden konnte? Wohl sicher nicht… War ich in diesen Phasen gesund? Wohl auch eher nicht…

Im Grunde macht sie nicht viel anderes, als kognitive Verhaltenstherapie. Sie verkauft es nur besser. Hier stelle ich mir die Frage, ob sich ihre Texte ohne den spirituellen Kram im Hintergrund und die Suggestion von Einfachheit so gut an die Leser bringen lassen würden. Ich denke eher nicht, weil die göttlich abgesegnete Möglichkeit zur Realitätsverdrehung und -flucht dann fehlt. Die Leugnungsscheuklappen fallen aus. Denn Negatives gibt es dann nunmal.
Immer wenn für eine Seite im Leben kein Platz mehr ist, läuft für mich etwas gewaltig schief.
Heilung ist und bleibt harte Arbeit. Da helfen vier Fragen vielleicht manchmal, aber sie streicheln sicher nicht alle Wunden weg. Es ist völlig ok in der Herangehensweise ihrer Bücher hilfreiches zu finden, genauso, wie in anderen Selbsthilfebüchern hilfreiches stecken kann. Allwissend und die einzige Lösung sind sie nicht.
Auf keinem einzigen ihrer Videos auf YouTube macht sie auf mich den Eindruck, in ihrer Mitte zu sein. Ich kann das Leuchten nicht spüren. Für mich wirkt sie aufgesetzt, teils hart, wenig bodenständig. Ihre Augen blicken hinter der Fassade ungreifbar und leer.
Vielleicht empfinden andre da anders.

Ich glaube, dass so einige dissoziative Patienten, die zum ersten Mal den Schrecken, der in ihrem Leben passiert ist benennen und den Mut haben all dem Schmerz in ihnen einen Namen zu geben, näher an sich und damit auch an der „Erleuchtung“ sind, als diese Frau.

Quellen:
– „Ich liebe was ist“, Engelmagazin, Ausgabe Januar/Februar 2018, S. 31;
https://realization.org/p/byron-katie/massad.byron-katie-interview/massad.byron-katie-interview.1.html
http://thework.com/en/about-byron-katie
https://www.mystica.tv/byron-katie_interview/
https://www.morgenpost.de/vermischtes/article211539507/Wer-ist-der-Mann-ohne-Gedaechtnis.html
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/wer-kennt-diesen-mann–der-mann-ohne-gedaechtnis-10699546