Erzähl dir deine Geschichte

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Die Abende sind lang und finster. In der Jahreszeit hängen viele schwierige Erinnerungen. Der beste Grund, um uns eine schöne Geschichte zu gönnen. Wir werden uns heute vorlesen und kindliche Momente gönnen, damit unsere Seelen wieder bei uns ankommen. Im Innen lodert bereits der imaginierte Kamin. In Decken gekuschelt hören wir uns gegenseitig zu und lauschen dem inneren Wissen.

Wir wünschen euch einen schönen Abend!

Erinnern mit Vorurteilen

Der Tee kommt dampfend heiß aus der Teemaschine. Sein Winterduft steigt mir in die Nase. Ich denke nach, wie in letzter Zeit so oft. Ich halte mir das Heißgetränk vor’s Gesicht und atme ein. Zimtig, fruchtiger Geschmack begleitet meine Gedankenreisen.
Warum ist es so schwer sich zu erinnern?
Klar war es Horror und natürlich greift die Dissoziation.
Aber da ist noch etwas.
Es ist die Informationsflut.
Oder besser eine Desinformationsflut!?
Zum Thema rituelle und organisierte Gewalt gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Büchern. Mutige Menschen haben sich getraut über ihre Erlebnisse zu sprechen. Traumatherapeuten waren gezwungen sich mit der Materie auseinander zu setzen und steuern ihre Erkenntnisse bei. Dabei ist das passiert, was immer passiert, wenn Menschen auf etwas unbekanntes, bedrohlich wirkendes stoßen: Sie versuchen es einzuordnen, ein Schema zu finden, Kontrolle über das Unaussprechliche zu erlangen. Bald gab es Klassifikationen und Beschreibungen der Erlebnisse rituell Missbrauchter. Therapeuten entwickelten Richtlinien für die Behandlung.
Was auf diesem Gebiet an Öffentlichkeitsarbeit geschehen ist, verdient Lob und Respekt. Wir selbst sind dankbar, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen gibt, die uns weiter helfen können. Aus diesen Ansätzen ist viel Gutes entstanden.

Die Krux dabei: Aus den wenigen Information die es gibt, wurden Gesetze.
Schlägt man die Bücher über rituellen Missbrauch auf, so finden sich fast immer satanistische Inszenierungen darin. Teilweise lässt sich der Eindruck gewinnen, als wäre die Gewaltform mir religiöser Ideologie, ausschließlich damit verknüpft. Doch auch ritueller Missbrauch hat viele Gesichter.
Für ein Opfer, das sich die Schreckensbilder im Kopf kaum glauben kann, werden die Informationen die es findet zur Falle, wenn es selbst ganz andere Eindrücke erlitten hat. Es passt nicht ins Klischee… Der Zweifel wächst. Ein Kreislauf, der schwerwiegende Folgen haben kann. Die Überlebende ist betroffen, aber anders und sie findet nicht den freien Raum die eigene Geschichte entdecken zu können, weil nicht selten auch Therapeuten eine feste Vorstellung davon haben, wie das Leben von rituell Misshandelten aussieht. Diese festen Vorstellungen machen es Betroffenen unglaublich schwer sich selbst zu finden und die eigenen Bilder ernst zu nehmen.
Das wiederum ist aber dringend notwendig für die Heilung und für die Erlangung von Sicherheit.
Erinnerungen gehen immer dann weiter und werden tiefer, wenn die offen liegende Schicht angenommen und zumindest anverdaut wurde. Erst jetzt wagen es die Innenleute mehr zu erzählen. Alles Andere führt zum Stillstand.

Wer beim Lesen von Berichten über Männer in schwarzen Kutten denkt: „So war es bei mir nicht. Also habe ich keine rituelle Gewalt erlebt“,irrt.
So gibt es rituelle Gewalt etwa sehr wohl auch im christlichen Kontext. Die Katholische Kirche beteiligt sich in Teilen ihrer Strukturen nicht minder an der Ausbeutung von Kindern.
Letztlich kann jede Weltanschauung benutzt werden.
Wenn Erinnerungen und Gefühle auftauchen, die auf rituelle Gewalt hindeuten, sollte man sich ernst nehmen. Dabei ist egal, wie sie aussehen. Es braucht nicht immer Kutten und mitternächtlichen Messen. Auch Misshandler in diesen Kreisen kommen manchmal einfach in Jeans daher.
Was dahinter steckt findet man nur heraus, wenn man offen betrachtet, was die Seele mitteilt.

Muschelzartheit

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„In der Nacht hatte ein Sturm an der Küste gewütet.
Am Morgen fand ich am Strand einen mächtigen schwarzen Stein, von der Wucht der Sturmflut in zwei Teile zerborsten.
Dicht daneben lag eine kleine Muschel, halb geöffnet, doch noch in beiden Hälften zusammenhängend.
Vorsichtig hob ich sie auf, spähte hinein – und fand eine noch kleinere Muschel darin,
zartrosa schimmernd und völlig unversehrt.“

 

Quelle:
Huber Michaela, Multiple Persönlichkeiten – Seelische Zersplitterung nach Gewalt, Junfermann, Paderborn 2010, Vorbemerkung

Ich will spüren, dass ich lebe

Mein nasses Haar fällt über meine Schultern.
In der Nase fühle ich dem Duft des neuen Hafermilchshampoos nach.
Nicht schlecht.
Ich mag das Gefühl auf meiner Kopfhaut.
„Wer bin ich eigentlich.“, frage ich mich so nebenbei.
Die Antwort dazu bekomme ich leider nicht so aus dem Ärmel geschüttelt.
Noch schwieriger, „Was will ich eigentlich?“.

Morgen heißt es wieder antreten und arbeiten.
Das Wochenende war viel zu kurz.
In der ganzen Funktioiermenschenwelt frage ich mich, ob ich das wirklich will. Ob ich wirklich „normal“ sein will und mich dafür selbst immer mehr verlieren, von Tag zu Tag dissoziativer, weil ich sonst die Reize der Außenwelt, die da auf mich einprasseln, gar nicht ertragen könnte.
Hülle.
Irgendwie ein scheiß Gefühl.

Ich will spüren, dass ich lebe!
Wir wollen das!
Wir wollen unser Leben leben.
Nicht das, das andere von uns erwarten.
„… und wissen, dass ich genüge. (…) Vielleicht hatte ich keine Wahl, sondern nur den Willen zum Überleben.“
„Ich will glücklich leben weil ICH bin.“
„Ich bin hier und mein Leben gehört nur mir.
Und den Himmel, an den ich glaube, den gibt es.
Den werde ich irgendwo finden.“