Seiltänzer

Wir hängen in den Seilen.
Ordentlich.
Seit fast zwei Wochen fehlt von einem Moment auf den anderen der so dringend benötigte Boden unter den Füßen.
Sterben. Aufgeben.
Verlockend.
Andererseits – Leben ist auch wirklich schön.
Wenn es gerade nicht so scheiße wehtun würde.
Ok… einen Versuch ist es wert.
Unser Gehirn boykottiert den Funktioniermodus.
Lernen für Prüfungen Fehlanzeige.
Allein das Sitzen im Unterricht ist schon anstrengende Qual genug.
Lächeln und Schmunzeln.
Dann fühlen sich wenigstens Lehrer und Mitschüler sicher und wohl.
Depression inkognito.
Harmlos wirkt es und unernst, nach kleineren Wehwehchen, wenn wir sagen, dass es uns nicht gut geht.
Doch das ist es nicht.
Es ist der gesamte Ernst, der auf uns prallt, wenn wir spüren, dass wir Opfer sind.
Wenn die Bilder der Folter, die uns angetan wurde, in uns wirken.
Es sind die Gerüche der Männer, die uns in die Nase steigen.
Das Parfüm, der Körpergeruch, Alkohol,…
Es ist das Spüren ihres Atems, der auf unseren Körper trifft.
Mal sanft und hauchig. Mal hart und fordernd.
Es sind die Spuren ihrer Berührungen, die sie auf unseren Körper zeichneten.
Das „Es war so schrecklich“.
Wir sind Seiltänzer auf den Synapsen und hoffen an den Überspannungsleitungen möglichst vorbei zu kommen und schon gar nicht mitten auf dem Starkstromnervenkabel zu landen.
Etwas Ruhe.
Wenig Reize.
Abgerichtet auf das Leben in Kult und organisiertem Verbrechen, wo selbst Reizlosigkeit einen Reiz darstellt.
Kaum möglich.
Nervenseilüberlebenstanz.