Zauberhafte Traumaflucht

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Wir sitzen am Pc und tippen Gedankenflüsse in das virtuelle Papier. Nebenbei läuft Harry Potter. In den Büchern bin ich schon als Jugendliche gerne versunken. Mittlerweile kenne ich sie in und auswendig. Im Vergleich zu den Filmen sind sie für uns noch wesentlich phantastischer. Dennoch geht nichts über einen kühlen Herbstabend auf dem Sofa vorm Fernseher mit den zauberhaften Leinwandbildern. Ich hoffe auf einen gemütlichen Abend, der die Kraftreserven etwas aufzufüllen vermag. Wir knuspern Chips und tun einfach so, als wäre alles in Ordnung. Manchmal würde ich mir wünschen, ich hätte ein Denkarium. Dann könnte ich einfach all die zu viel gewordenen Gedanken aus meinen Synapsen lösen und dort sicher ablegen. Über einer der Werbepausen schlafe ich ein.

Als ich am anderen Morgen aufwache, scheint mir durchs Fenster schon die Sonne ins Herz. Ich fühle mich etwas besser. Für einen kurzen Moment versuche ich zu spüren, ob es wirklich besser oder nur dissoziativer ist. Eine große Tasse Tee hilft mir in den Tag zu starten. Er macht die Seele warm. Ich trete auf die Balkonbretter und lasse mich etwas von dem lebensspendenden Planeten bescheinen. Danach steige ich auf das Trampolin und federe in den Vormittag. In den letzten Wochen habe ich festgestellt, dass mir die Bewegung auf dem Sprungtuch dabei hilft einzelne Körperbereiche wieder miteinander zu verbinden, die sonst voneinander abgespalten sind. Wenn sie nicht zusammenarbeiten lässt sich das Schwingen und Springen nicht gut koordinieren und ich mache einen Abgang. Dementsprechend langsam habe ich damit begonnen. Mittlerweile kann ich mich schon etwas länger darauf bewegen, ohne mich hinterher schlecht zu fühlen oder Flashbacks zu riskieren. Mittags backe ich uns Waffeln und wandere dann erneut vor den Fernseher. Harry Potter geht auch zwei mal. 😉

So genieße ich den Nachmittag, meide alles, was uns auch nur im Ansatz stressen könnte oder ungute Gefühle verursacht und freue mich, dass mir die Flucht vor dem Trauma für den Moment ganz gut gelingt. Am Abend wollen wir zusammen kochen und mit einer Freundin plaudern. Wenn der Plan funktioniert, sind wir auf dem besten Weg zu einem ganz passablen Tag.

Vermeidungsverhalten erkennen und verstehen

„Die Phobie vor dem inneren Erleben ist ein gravierendes Problem, denn Sie erhält den psychischen Stress aufrecht und hemmt lustvolle und spontane Aktivitäten.“ (Kashdana, Barrios, Forsyth & Steger, 2006)

Wir wollen unser Vermeidungsverhalten für eine Woche beobachten.
Beobachten – nicht verändern.
Es geht nur darum uns in diesem Punkt erst mal besser kennen zu lernen.
Für uns ist es ein wichtiger Schritt uns immer besser zu verstehen, um wirklich gesund werden zu können.

Was uns auffällt schreiben wir jeden Tag auf einen Bogen, wie es im Buch „Traumabedingte Dissoziation bewältigen“ (S.Boon, K. Steele & O. Van Der Hart) beschrieben wird.
1. Welches Erleben vermeiden wir
2. Welche Konsequenzen hätte es für uns, wenn wir das, was wir vermeiden zulassen würden?
3. Was haben wir gemacht, um das Erleben zu vermeiden?
4. Was bräuchten wir an Hilfe oder Ressourcen, um das Erleben weniger vermeiden zu müssen?

Der Plan ist gut…
… die Panikattacken, die er auslöst weniger.
Gerade haben wir den ersten Punkt in unseren Plan eingetragen und etwas darüber nachgedacht und stellen fest, dass uns dabei Dinge bewusst werden, die uns schier zur Verzweiflung bringen. Hinter ganz simpel erscheinenden Handlungen steckt so enorm viel Angst.
Wohl aus dem gleichen Grund, mache ich Orientierungsübungen manchmal nur sehr widerwillig, wenn es mir sowieso schon schlecht geht. Komme ich aus der Dissoziation raus, spüre ich oft sowohl seelisch, als auch körperlich, noch mehr von dem Schmerz, den ich ohnehin schon nicht ertrage.
Die Übung hat mich eiskalt erwischt, den Effekt habe ich vorher nicht durchschaut, sonst hätte ich sie wahrscheinlich vermieden. 😉

Ich bin gespannt, was mir/uns in der Woche alles klarer wird, wohin mich die Vermeidungsverhaltenvermeidungsübung noch so führt und hoffe trotz schmerzlicher Bewusstwerdung, auf letztendlich heilsame Erkenntnisse. 🙂