Roman variabel entlassen

“Ach, Roman…“, dachte ich bei mir und erwischte mich sogleich bei sentimentalen Gedankenspielereien. Als wir uns vor vielen Jahren kennenlernten, war er ein stolzer Mann gewesen. Er griff nach den Sternen und legte sie mir zu Füßen. Seinem Blick wohnte ein geheimnisvoller Zauber inne, der mich in den kältesten Momenten so einhüllte, als würde die dickste Kuscheldecke mich samten betten. Es mag im Leben viele Ungewissheiten geben, an unserer Liebe jedoch ist nichts variabel. Vor einigen Monaten hat Roman seinen Job verloren. Sein Chef musste ihm kündigen. Seitdem ist er dünner geworden, verkroch sich mehr und mehr in ein Schneckenhaus und sah bald nur noch wie ein magerer Schatten aus, der sich vor mir und der Welt immer mehr verschloss. Die Fassade von Leistung und Ansehen bröckelte. Seine innere Wüste trat hingegen mehr und mehr zum Vorschein. Nie hatte er gelernt, seine eigenen Werte zu finden und sich selbst zu lieben. An diesem frischen Septembermorgen durchfährt mich ein eigenartiger Schauer, wenn ich an Ihn denke. Eben noch habe ich ihm vom Fenster aus nachgeblickt, als er die Straße zum Auto hinunterlief. Kaffeegeruch stieg mir in die Nase und ich habe mich an der Tasse festgehalten, so fest, als wollte ich still für mich sagen: „Mein Herz, mein Herz… Es hat dich nie entlassen. Es kennt dich als Mensch.“

Die Schreibprojekte und Ideen von Christiane findet ihr hier. Unter dem Beitrag dort sind auch andere kreative Etüden verlinkt, die obige Begriffe enthalten. Vielleicht habt ihr ja Lust auch mal vorbeizuschauen und mitzumachen. 😊

Bedrohliche Opfer

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Das Opfer, das die Situation des Opfers benennt,
ist kein Opfer;
er oder sie ist eine Bedrohung.

James Baldwin

Als wir diesen Satz unlängst lasen, fühlten wir uns ganz tief angesprochen. Wir wiederholten die Zeile im Stillen immer und immer wieder. Wir wollten sie verstehen. Ihre Essenz in unseren Zellen spüren und mit dem Verstand begreifen. Irgendwann wurde aus der vagen Stimmigkeit ein deutliches „Es stimmt! Genau so ist es!“
Baldwin hat auf verschiedenen Ebenen recht mit seiner Aussage.

In dem Moment, in dem ein Opfer seine Wahrheit ausspricht, hat es das Opfer sein bereits verlassen. Es erkennt an, was ihm widerfahren ist und bezieht Stellung. Die Verantwortung für die eigenen Gefühle prallt nicht länger an gesellschaftlichen Schweigeansprüchen ab. Jedes „Ich wurde missbraucht“ und „Er hat mich vergewaltigt“ setzt ein Statment der mutigen Zeugenschaft für sich selbst. Dabei ist es völlig egal, ob es laut oder leise, zögerlich, brüchig oder mit klarer Stimme ausgesprochen wird. Die Missstände, die Gewalt erlauben, werden deutlich. Täter werden benannt. Das Opfer duckt nicht länger. Es ist bereit gesehen zu werden und für sich aufzustehen. Die Betroffene drückt auf unmissverständliche Weise aus: „Ich bin Opfer und es schmerzt unerträglich, aber ich bin auch so viel mehr als das. Das Handeln des Täters war falsch. Es ist völlig inakzeptabel! Mit seiner Tat wurde etwas in mir zerstört. Ich bin nicht bereit mir den Schuh für die Vorkomnisse anzuziehen. Soetwas darf Menschen nicht geschehen!“ Es fordert sein Recht auf Heilung und Unterstützung.

Das führt nicht selten zum zweiten Teil des Zitates. Das Opfer wird für das Gegenüber zur Bedrohung und Bedrohung wird bekämpft. In seinen klaren Worten für sich selbst, rüttelt die Betroffene an den Grundfesten der Gesellschaft. Plötzlich stehen die scheinbaren Sicherheiten des Einzelnen in Frage. Jeder könnte jederzeit zum Opfer werden und es gibt kaum Möglichkeiten sich davor zu schützen. Das persönliche Leid und die Not durch selbst erlebte Gewalt wird spürbar. Es gibt wohl leider keinen einzigen Menschen, der im Laufe seines Lebens nicht in irgendeiner Art, sei es psychisch, physisch oder sexuell, damit zu tun hat. Die wirkliche Auseinandersetzung überfordert.
Also forscht man zu falschen Erinnerungen, zieht die Glaubwürdigkeit der Betroffenen in den Dreck, verunglimpft die Behandler und kämpft gegen die Opfer, um sich einen Scheinboden unter die Füße zu schieben. Es ist eine Frage der Zeit, bis er unter der Last der Realität bricht.

Was wir aber positiv daraus lernen:
Das Wort des Opfers hat Macht! Warum sonst wohl würden ganze Nationen vor lauter Angst gegen die Glaubwürdigkeit ankämpfen!? Und doch haben sie nichts wirklich greifbares in der Hand.
Die Macht der wahrhaftigen Sprache gehört den Opfern! Lasst sie laut werden. Wenn euere Aussagen so wertlos wären, würde sich wohl kaum jemand so viel Mühe machen, euch schweigsam zu halten.

Eisige Liebe

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Unter meinen Schuhen knirscht das Gras vor Kälte. Nur ganz kurz wollte ich aus dem Haus. Einen kleinen Eindruck des Klirrens einfangen. Einen Schnippsel von 10×15 aus dieser riesigen Welt stanzen. Einen den man mit nach drinnen nehmen kann, ohne dass der Schnee schmilzt. Mein Atem gefriert in der Morgensonne. Die beschlagene Atemwolke wandert durch die Winterlandschaft bis über den Gartenzaun. Dort macht sie sich unsichtbar. Vielleicht hat sie auch ein Zwerg eingesammelt, der unter den roten Hagebutten seine Frühjahrspfeife rauchte. Wer weiß?
Der Rauhreif mochte nicht an den Bäumen halten. Zu trocken war es heute Nacht für die Wintergeister. Nur das Gras flüstert mit jeder meiner Bewegungen von zerbrechlicher Eisigkeit. Meine Fingerspitze berührt einen kleinen Halm. Schnell verliert er seine Steifheit in der körperwarmen Umgebung. Ich beobachte mit Staunen die neue Schwingungsfähigkeit. Gleichzeitig spüre ich, wie meine nackten Füße in den Halbschuhen sich dem restlichen Gras anpassen. Meine Erdung fröstelt, wie die Erde auf der sie halt findet. Mit vorsichtigem Schritt laufe ich über die Pflanzendecke zurück ins Haus. Auf Zimmertemperatur schmelzen meine Eindrücke in die Tasten. Zu Wortbildern zerflossen umschmeicheln sie das Foto. Die Natur hat heute Morgen ihre Fußabdrücke auf meiner Seele hinterlasssen. Zart und voll Gefühl. Mir versprochen, dass sie trägt. Auch in den eisigsten Momenten kann Liebe stecken. ❤️

Worte tanken

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Heute war ein anstrengender Tag. Mehrere Stunden Zugfahrt und ein langes Gespräch in einer Traumambulanz später wollen wir einfach nur noch abhängen. Am liebsten hätten wir jetzt auch so eine Hängematte, wie die Katze. Darin würden wir bewegungslos ausspannen. Da es uns daran leider mangelt, nehmen wir mit unserem Bett vorlieb und kuscheln uns in eine weiche Decke ein. Wir lassen den Tag ausklingen. Erschöpft versuchen wir Ruhe zu finden. Es gibt viele Eindrücke und viel zu erzählen. Für heute sind allerdings die Worte leer. Unsere Seele freut sich auf die stille Nacht zum Wortetanken.

Wir wünschen euch allen eine gute und erholsame Nacht! Habt seelenstreichelnde Träume.
Bis morgen!

Sprachschmerz

Gerade habe ich mich erschöpft auf’s Bett geschmissen, einmal geächzt und atme nun mit schmerzenden Beinen tief durch. Meine Seele schreibt so gerne, wenn sie was zu sagen hat. Dann malt sie Wortbilder. Papier ist Geduldig. Auch das virtuelle. Es braucht keine Termine. Es hört immer zu. Es versteht immer richtig.
Manchmal frage ich mich, was passieren würde, wenn ich offen auf Facebook poste, was mir passiert ist. Vielleicht nichts. Vielleicht was positives. Vielleicht was schlechtes. Wer kann das schon sagen!? Tun werde ich es nicht. Manchmal find ich einfach den Gedanken befreiend mich nicht mehr verstecken zu müssen, weil ohnehin jeder weiß was passiert ist. Ich wäre einfach ich. Was sie davon verstehen würden? Wahrscheinlich nichts, weil es leere Worthülsen ohne Inhalt sind, wenn man das nicht selbst erlebt hat. Was sagt das Wort Missbrauch oder Vergewaltigung an sich schon aus. Man verbindet es mit schlimmen Straftaten, weiß vielleicht dass die für die Opfer schwer zu überwinden sind. Emotionale Bedeutung hat es für Nichtbetroffene nicht. Was nützt das Wort, wenn es nichts aussagt? Alles was ich empfinde, wenn ich Worte wie Missbrauch oder Vergewaltigung höre, liegt nicht in den Worten. Es sind meine Erfahrungen, die ich spüre. Die bleiben sprachlos, selbst, wenn ich die Worte ausspreche. In der Sprache liegt Schmerz. Der Schlüssel liegt im Herzen.

Opfer sein

Wie man sich fühlt? Wie kaputt das macht? Wie viel Kraft es kostet, dass das Kaputt nicht mehr das Kaputt, sondern das neue Ganz ist?

Ich bin müde.
Ein langer Arbeitstag neigt sich dem Ende zu.
Gedankentreiben.
Warum passiert so eine Scheiße eigentlich überhaupt!?
Meine Zehen werden kalt vom Sommerwind und meine Haare wollen duschen, aber ich nicht. Es triggert. Obwohl ich müde bin, bin ich angespannt.
Ich will ich sein.
Aber wenn ich ich bin, bin ich sanft und das Leben zu hart, als dass ich es ertrage. Also bin ich auch ich, aber anders. Ich ohne mich.
Ich mit zu viel du und außen.
Es bleibt keine Zeit sich Gedanken darüber zu machen, dass Vergewaltigung nicht auszuhalten ist. Keine Zeit für Tränen. Keine Zeit in den Körper zu spüren.

Was ich dennoch fühle:
Ich bin Opfer.
Nicht, weil ich mich klein machen möchte. Nicht, weil ich in der Ohnmacht stecken bleibe. Nicht, weil ich meiner Verantwortung für die Heilung entgehen wil.
Sondern weil ich es in diesen Punkten schlicht war. Ohnmächtig und unschuldig. Und weil es mein Schritt in die Heilung ist mir diese Sicht zu erlauben. Weil es für mich dazu gehört, das anzuerkennen und mich zu sehen. Weil für mich nur Wunden heilen können, die ich mit der „zutreffenden Diagnose“ behandle. Das ist mein Fortschritt, es endlich sein zu dürfen.
Und ich schäme mich nicht Opfer gewesen zu sein. Und ich werde mich nicht dafür schämen, dass ich das Wort gebrauche, weil es für mich stimmig ist.
Ich will nicht Überlebende sein, weil ich es dann geschafft habe oder aktiv bin oder nach vorne blicke und für andere besser da stehe. Ich habe überlebt. Dennoch war ich Opfer. Ich werde mir ebenso wenig verbieten lassen das so zu benennen, wie es meine Freiheit ist über die Taten zu sprechen, die mir angetan wurden, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ich bin stolz darauf, mich meiner Realität zu stellen.
Es fühlt sich gut an.

Wie man sich fühlt ist unbeschreiblich. Wie kaputt es macht, zu groß, um es zu beschreiben. Die Kraft, die es kostet, unendlich.
Es ist mein Recht Opfer zu sein. Verharmlost wird schon genug. Die Situation habe ich nie gewählt.

Wortgeschmeide

Manchmal da liegen Worte an, wie schöne Geschmeide aus Gold oder Silber. Sie schmücken den, der sie spricht ebenso, wie das Gegenüber. Ihr Klang streichelt die Ohrmuscheltrommelfellgehörgangsschneckenhärchen mit seinen Wellen.
Sie schwingen.
Ihr Glanz ist eigen und oft vom richtigen Moment bestimmt. Dann scheinen sie, wie der Lichteinfall der Sonne an manchen Tagen zaubert. Es gibt Worte die klingen mit ihrem Wortkörper genau so, wie das, was sie bedeuten. Und Worte die aus Buchstabenkombinationen bestehen, die mehr sind, als das.
Magie liegt in jedem von ihnen.
Sie zaubern Lachen in Gesichter, malen Tränen in die Augen, sprechen Wünsche, drücken aus, heilen sanft, verletzen schnell.
Du bist der Magier.
Gebrauche sie klug!

Selbstausdrucksblockaden

„Es gibt Dinge, die man nicht sagen kann,
weil es keine Worte gibt, um sie zu sagen.
Und wenn es sie gäbe,
würde niemand ihre Bedeutung verstehen.“

Federico Garcia Lorca

Buchstabensuppe mit Milchreis und Zimt

Ich möchte schreiben. Irgendetwas. Einfach nur ausdrücken. Was auch immer. Bloggen. Denn theoretisch, glaube ich zumindest, hätte ich Spaß daran, wenn sich die Buchstaben in meinem Kopf zu Worten sortieren ließen.
In meinem Kopf bröseln die Buchstaben wild durcheinander, schwirren vor meine Augen und durchwandern unsortiert meine Gehirngänge. Von Zeit zu Zeit formatieren sie sich zu brüchigen Wortteilen, ehe sie wieder irgendwo versinken.
Programme – Therapie – Anstrengung – bilden die ABC-Fetzen sich zu Worten.
Und weil die Programme ihrerseits selbst Worte bilden, wird es voll im Kopf und ungreifbar. Nur „Klirren“ und „Zerspringen“ bleiben über. „Die Glaskönigin“ flüstert es im Hinterkopf und macht auf ein Stück Mind-Control-Verwirrungs-Erlebnis aufmerksam, das noch zu fragmentiert ist um es wirklich zu begreifen.
Die bunten Buchstaben schwirren weiter und bilden aus einem Kindermund das Wort „Monsterchen“ ehe mein Körper sich in Bewegung setzt, um das Monsterchen zu holen und auf unseren Schoß zu setzen. Schließlich soll es ja bei uns sein dürfen.
Lutscher. Hunger. Vorlesen.
Erinnerung. Müde. Langeweile.
Malen. Angst. Geborgenheit.
Telefonieren. Reden. Spaß.
Schweigen. Hüpfen. Vorfreude.
Traurigkeit. Lachen. Gemeinsamkeit.
Die Buchstabengebilde treffen sich, nur um direkt anschließend wieder zu zerfallen und mal mehr, mal weniger Sinn zu ergeben. Manche kämpfen miteinander und fechten um die Reihenfolge der Umsetzung, des von ihnen ausgedrückten Inhaltes oder bilden sich besonders häufig, um sicher zu gehen wahrgenommen zu werden.
Aktuell kann der Kampf „Hunger“ gegen „Müdigkeit“ live beobachtet werden, denn er möchte gestillt werden, auch wenn manche sich zu schlapp fühlen, um Essen zu machen. Ebenso finden die Austragungen zu „Dissoziation“ gegen „Gegenwart“, „Eigene gegen fremde Worte“,“Bewegung“ gegen „Ruhe und Liegen“ und einiger anderer wichtiger innerer Uneinigkeiten statt.
Nicht zuletzt sind da auch noch die Rangeleien um die körperliche Vorherrschaft „Klein gegen Groß“ frei nach dem Motto „Gleiches Recht für alle“.
Während ich weiter die Buchstabenworte im Kopf beobachte formatieren sich die ersten vorläufigen Kampfergebnisse für das Duell „Hunger gegen Müdigkeit“. Der Hunger hat sich durchgesetzt, so dass ich mich nun doch aufmachen muss, um mir etwas zu essen zu machen. Hmm, aber was?
Zeit und Platz für neue Gefechte.
Buchstabensuppe mit Milchreis und Zimt.

Wortbeschreibungslos

Manchmal ist es nicht einfach die richtigen Worte zu finden,
das auszudrücken, was so tief im Innen bewegt, dass es im Außen nicht mehr greifbar ist.
Es rinnt durch die Hände des greifbaren Verstandes.
Mir fehlen die Worte.
Wurden sie noch nicht geschaffen oder finde ich sie einfach nicht?
Für die derzeitigen Abgründe und Höhenflüge meiner Seele gibt es gefühlt nichts, was absolut treffend beschreibt. Keine Begrifflichkeiten die darstellen und greifbare Bilder der inneren Wirklichkeit schaffen. Sichtbar und verständlich für mich und für das Außen.
Wie kann etwas Wirklichkeit oder ein Stück Realität werden, wenn doch Worte das Medium sind, das ausdrückt, das Wirklichkeiten schafft, aber die Worte einfach fehlen!?
Bin ich unreal? Gibt es mich gar nicht? Gibt es den Zustand in dem ich bin gar nicht?
Ungreifbar.
Ich spreche etwas aus. Ich schaffe eine Realität. Ich fasse in Worte. Ich gebe Gestalt. Mache greifbar und verständlich.
Doch in Bezug auf mein derzeitiges Befinden, auf mein derzeitiges Sein, fehlt diese Wortgestalt.
Es bleibt eine leere Hülle, die nicht mit greifbarem beschrieben werden kann und doch so furchtbar  vollgefüllt und belebt ist.
Wortbeschreibungslos.