Ich wollte nie

Ich wollt‘ mich nie entscheiden –
weder für euch noch für mich.
Wollte immer einfach nur da sein,
doch diesen Ort den gab es nicht.

Ich wollte nicht mehr oder weniger lieben
oder einen Elternteil besser finden,
denn in mir wäre eigentlich Platz gewesen
um mich an mehrere Menschen gleichzeitig zu binden.

Ich wollte nie Papas Frau sein
oder Mutters Mutter ersetzen,
denn am Ende bleiben davon im Herzen
nur bittere Erinnerungsfetzen.

Ich wollte nie mit all den Männern schlafen,
und dabei mich selbst vergessen um zu überleben.
Doch in all den schrecklichen Jahren
konnte niemand einfach bedingungslos geben.

Ich wollte niemals allein sein
und in der Ecke mein Dasein fristen,
doch allein sein war irgendwann besser,
als all die Männer und Folter und enge in Kisten.

Ich wollte nie euer Kind gebären
und all die menschliche Grausamkeit sehen,
aber ihr habt bestimmt mit eiskalter Hand –
vom Samen bis zu den Wehen.

Ich wollte nie euer Roboter sein
und dennoch habt ihr mich dazu gemacht,
denn wenn andere vor Schmerzen schreien,
ist es das, worüber ihr lacht.

Ich wollte nie gebrochen sein
und in tausende Teile zersprungen,
aber alleine hätte ich sicher die Qualen
niemals bis heute bezwungen.

Ich wollte immer nur ich sein
und gut und geliebt genau wie ich bin
und mein Herz, es wäre erfüllt gewesen,
denn nur so macht das Leben auch Sinn.

© Copyright by „Sofies viele Welten“

19 Kommentare zu “Ich wollte nie

  1. … mein Atem stockt, bleibt in der Kehle stecken,
    … gefühlt mein Leben beschrieben…“…und mein Herz es wär erfüllt gewesen…“
    …. Ich wünsche dir und euch sehr es kann und darf und tut sich auch heute füllen euer Herz

    • Hallo Federspiel,
      ich glaube dass unser Herz immer mehr mit schönen Momenten erfüllt wird.

      Es tut mir leid für euch, dass ihr das kennt! Vielleicht bleibt wenigstens der Trost damit nicht alleine zu sein. Wir empfinden das oft so.

      Liebe Grüße,
      Sofie

    • Danke, liebe Benita für die liebe Rückmeldung! 😊
      Wir finden es schockierend dass viele Täter ungestraft so grausame Dinge tun. Wenigstens, so empfinden wir es zumindest, gibt der Austausch hier immer wieder die Chance als Opfer zu erkennen, dass wir nicht alleine damit sind.

      Liebe Grüße und viel Kraft!
      Sofie

  2. Sehr schön geschrieben, die passenden Worte gefunden für etwas was eigentlich unaussprechlich ist. Wir gut wir uns darin wiederfinden……
    Danke euch!

    • Hallo Lisa,
      vielen Dank für den lieben Kommentar! 😊
      Es tut uns gut, wenn wir das Gefühl haben, dass zwischen den Gedichtzeilen zumindest in kurzen Wortbildern greifbar wird, was wir erleben. Es ist traurig, dass ihr ähnliches empfinden müsst. Wir wünschen euch viel Kraft und hilfreiche Ansätze im Umgang mit dem Unaussprechlichen und denken an euch.

      Liebe Grüße,
      Sofie

  3. Ich sitze mit Tränen vor diesem Fenster, vielen, stillen Tränen. Aber ich habe sie immerhin, sie, die Ihr so oft nicht einmal mehr haben konntet, nicht haben durftet.

    Die wahrhaft grässlichen Orte, die wirklich furchtbaren Dinge auf dieser Welt sind alle vorsätzlich und also menschengemacht.

    Die wirklich menschlichen Menschen kennen keinen Vorsatz, glaube ich. – Herz hat nichts mit Vorsatz zu tun. Weil Herz Liebe ist.

    „Vorsätzliche Liebe“ aber gehört zum grässlichsten, grausamsten, abartigsten überhaupt.

    Ich möchte Euch ganz viel Herz hierlassen: 💗

    • Lieber Sternenflüsterer,
      wir hätten dir viel lieber Freudentränen gemalt, wenn du dir die Zeit nimmst bei uns vorbei zu schauen. Vielleicht ja dann das nächste mal. 😉 Ein bisschen können wir sie vielleicht zumindest trockenflattern. Wir freuen uns nämlich ganz unabhängig davon von dir zu lesen!

      Danke für das Herz, es ist gleichzeitig mit deinen Zeilen angekommen. Manchmal hilft es uns auch die Rückmeldung zu bekommen, dass andere diese Taten schlimm oder zum Weinen finden. Dann trauen wir uns eher unsere Emotionen ernst zu nehmen.

      Liebe Grüße,
      Sofie 🦋

      • Ihr seid ja unglaublich lieb! Noch nie gab es jemanden, der meine Tränen „trocken geflattert“ hat. Das ist ja allerliebst!

        Dass es diesmal eher traurige Tränen waren, muss Euch nicht betrpüben. Für die wart und seid ihr ja nicht verantwortlich. Was Euch angehet, so schenkt Ihr mir immer viel Freude und Licht – ich habe viele dunkle Momente und Ihr seid da manchmal wie ein nimmermüdes Glühwürmchen, das mir eine Kerze anzündet.

        Deshalb ist es andererseits so, dass es mir so weh, so leid tut, dass Ihr so unvorstellbar leiden müsst und dass diejenigen, die Euch das antun, einfach immer weitermachen können, letztlich unbehelligt bleiben.

        Da läuft ganz viel falsch in diesem Land an dem ich ohnehin immer mehr verzweifle.

        Ich denke viel an Euch – bitte jeden Abend vor dem Einschlafen für Euch. Das mache ich schon sehr lange und regelmäßig für viele in meinen Augen besondere Menschen, für einige aber im Speziellen. Und dazu gehört ihr.

        Ich wünschte, ich könnte öfter sichtbar eine Rückmeldung geben, aber dazu fehlt mir manchmal auch einfach die Kraft. Wisst aber bitte, dass das nie mit Euch zu tun hat – meine Gedanken, mein Bitten, begleiten Euch trotzdem immer. (Und das ist nicht nur dahingesagt.)

        Ganz liebe Grüße! 🦋💗

  4. Darf ich etwas fragen? FÜHLT ihr all dies, was da an Worten geschrieben wurde? Also kam das im Laufe des Prozesses/der letzten Jahre emotional wieder?… wir denken vor allem an: „Ich wollte nie mit all den Männern schlafen.“… Vom Kopf her wissen wir, dass das wohl so war, aber wir fühlen es (noch) nicht… nicht einmal, dass wir überhaupt mit Männern „schliefen“… LG

    • Natürlich darfst du! 😉

      Ja, das was wir im Gedicht beschreiben fühlen wir auch. Tatsächlich helfen uns Gedichte vor allem unsere Emotionen nach außen zu bringen. Meistens schreiben wir in Versform nur, wenn etwas sehr viele Gefühle auslöst. Es war lange Zeit schwierig zuzulassen, dass wir fühlen dürfen, dass wir etwas nicht wollten. Aber im Grunde war dieses Gefühl, dass da etwas ganz schreckliches passiert immer da. Wir haben uns teilweise dafür geschämt, dass wir mitgemacht haben, obwohl uns als Kind ja gar nichts anderes übrig blieb. Das machte uns dann das Gefühl, dass wir nichts dagegen sagen dürfen.

      Wir kennen aber auch Zeiten, in denen es ganz schwer war überhaupt an die zugehörigen Gefühle zu kommen und in Stressmomenten passiert es uns immer noch, dass zwar ein kognitives Wissen darum besteht, aber ansonsten die Gefühlslandschaft recht taub wird.

      Manchmal konnten wir bei uns feststellen, dass dieses „vom Kopf her wissen“ auch ganz plastisch damit zu tun hatte, dass wir den Rest des Körpers nicht mehr spüren. Das entspricht teilweise auch dem Gefühl, das in der Gewaltsituation noch bleibt. Kopffüßler und alles dazwischen war weg. Vielleicht fehlt euch für manche Erinnerungen noch der Zugang zum Körper? Dann ist oft ja auch ganz real nicht mehr wahrnehmbar, wie sich etwas für den Körper und damit auch seelisch anfühlt und es dauert bis man an diese abgespaltenen Teile wieder rankommt.

      War das in etwa die Antwort auf euere Fragen?

      Liebe Grüße,
      Sofie

      • Liebe Sofie, danke für die ausführliche Antwort. Ja, das war eine Antwort… und ja, es kann sein, dass der Zugang zum Körper für so manche Augenblicke von Erfahrungen noch fehlt. Sicherlich. Eins nach dem anderen… wir wussten-wissen ja auch vom Kopf her so vieles erst seit ganz kurzer Zeit… euer Satz: „Aber im Grunde war dieses Gefühl, dass da etwas ganz schreckliches passiert immer da“ klingt so, dass ihr schon früh, im Damals, wusstet, auch als die Alltäglichen?, dass da etwas schreckliches passiert. LG

      • Liebe Lia-Lani,
        die Frage ist gar nicht leicht zu beantworten.🙃

        Den Großteil meines Alltags als Kind habe ich als eine der Alltagspersonen als normal empfunden. Wenn uns als Kind also jemand gefragt hätte, ob uns irgendetwas passiert, hätten wir sicher verneint. Das lag zum Teil aber auch daran, dass für uns Dinge normal waren, die wir im Nachhinein als alles andere als das empfinden würden. Die psychischen und physischen Demütigungen wären mit Sicherheit als „kommt in den besten Familien vor“ durchgerasselt, obwohl sie massiv waren. Das gesamte Ausmaß der Gewalt war uns nicht bewusst, aber hin und wieder drängte etwas davon auch in den Alltag. Da gab es dann etwa ein Empfinden dafür, dass sich eine Situation plötzlich gar nicht mehr gut angefühlt hat und die Atmosphäre ins Übergriffige kippte. Irgendwann kam dann meist der Black out, aber ein Gefühl davon, dass da irgendetwas passiert ist, das gar nicht gut ist, bestand manchmal noch danach. Die Schnittstellen zwischen Gewalt und Alltag waren teils bewusst, weil es Überlappungen gab. Wir fühlten uns oft hundeelend, hatten plötzlich panische Angst vor bestimmten Personen oder beobachteten uns bei Handlungen, die wir selbst nicht verstanden, aber auch nicht ändern konnten. Selbst der Alltag war im Endeffekt nie gewaltfrei und insofern hatten wir als Alltagsteam auch ein Bewusstsein für die Bereiche der alltäglichen Gewalt. Das Ausmaß der Gewalt verschwand weitestgehend aus unserem Bewusstsein, aber auf emotionaler Ebene hallte vieles nach. Wir durften uns damit nur nicht ernst nehmen.

        Liebe Grüße,
        Sofie

      • @Sofie… Danke. „So ganz anders als bei mir“, war unser erster Gedanke. Wir, Alltäglichen, erinnern uns nicht an Gewalt… aber auch nicht an (vieles aus dem) Alltag, außer den „Eckdaten“… Danke für eure Worte, eure Beschreibungen und damit den Einblick in euer Empfinden. Danke

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