Glauben als Entscheidungsfrage

In den letzten Tagen haben wir viel über das Thema des sich selbst glaubens nachgedacht. Begonnen hat alles mit einer sehr intensiven Therapiestunde. Wir arbeiteten daran eine Erinnerung zusammen zu setzen. Mittlerweile kennen wir uns gut genug, dass wir wissen, dass die Zweifel bzw. ein starkes Hinterfragen immer zeitgleich mit intensiver Innenarbeiten auftauchen. Der Umstand beeinträchtigt uns nicht mehr derart stark, als er das am Anfang unserer Therapie tat. Damals war dadurch nicht nur keine Innenarbeiten möglich, sondern oft genug auch unser Leben durch Suizidgedanken bedroht, weil wir miesen Lügner bestimmt kein Leben verdient hätten. Nach langer Auseinandersetzung lag der entscheidende Durchbruch in einem Kompromiss. Wir wollten gemeinsam neutral auf die Bilder und Gefühle in unserem Kopf schauen, ohne sie als wahr oder unwahr zu bewerten. Das konnten die Leute, deren Job es war um unser Leben zu zweifeln, mittragen. Von dem Zeitpunkt an konnten wir in der Therapie anfangen über unsere inneren Vorgänge zu sprechen, ohne derart heftige Folgen aus Zweifelgründen zu bekommen. Die Glaubensfragen klopften zwar immer wieder an, aber ohne das extreme Ausmaß.

Gestern war etwas neu. Ich sprach über die Teile einer Erinnerung, die ich wusste und darüber, dass es darin eine Stelle gibt, an der das „Filmbild“ wie bei einem unsauberen Schnitt springt. Ich sprach über die Angst, nicht mehr in die Situation hineininterpretieren zu wollen, als wirklich war, aber dass die Stelle nun mal nicht ganz rund ist. Da können wenige Sekunden fehlen, Minuten oder Stunden, aber irgendetwas fehlt.
Und dann spürte ich das kleine Mädchen, das damals betroffen war. Es war schrecklich alleine und extrem verwirrt und ich saß da und bemühte mich die neutrale Position zu halten, um überhaupt tiefer hinschauen zu können, ohne dass in meinem Kopf Chaos ausbrach. Dann schwabbte mich ihre Gefühlsflut weg. Wir saßen vor unserer Therapeutin und schluchzten tränenüberströmt. Nach einiger Zeit sagte ich heiser: „Vielleicht wollen wir uns auch einfach glauben! Sie hat doch sonst niemanden. Wir können uns doch nicht auch noch selbst im Stich lassen. Wir wollen uns einfach dafür entscheiden.“ Dann legte ich den Arm um das kleine gequälte Mädchen.
Seitdem ist innen etwas anders. Immer wieder nehme ich das Kind in den Arm und versuche da zu sein. Weil ich es so möchte. Weil wir ihr glauben wollen. Weil es sowas von unfair wäre diesem Leid mit Neutralität zu begegnen.

Mir ist darüber etwas bewusst geworden. In das Thema „Glauben“ spielen sicher mehrere Bereiche hinein. Wir machen viel von der direkten Faktenlage abhängig, ermitteln oft unerbittlicher in uns, als jede Polizei es je tun könnte und machen es uns nicht leicht unsere Wahrheit zu erkunden. Letztlich gibt es aber einen Punkt, an dem muss man sich einfach entscheiden. Dabei ist die Faktenlage zweitrangig. Da geht es nur um die innere Grundhaltung, die man einnehmen möchte. Das ist genau so, wie andere Menschen sich dafür oder dagegen entscheiden Opfern von diesen Taten zu glauben oder auch nicht. Ich muss einen Standpunkt dazu beziehen, ob ich mich verlassen will oder an meiner Seite bleiben. Wir müssen das. In Anbetracht des Leides, das sich jeden Tag vor unseren inneren Augen abspielt, bleiben wir.

Wir glauben uns, weil wir es so wollen!

10 Kommentare zu “Glauben als Entscheidungsfrage

  1. Liebe Sofie,
    ich erinnere mich noch sehr intensiv an meine 6Jährige, der ich so flashbackmäßig vor ca. 4 Jahren begegnet war und die mir sooooooooooooo wahnsinnig leid tat….Da gab es keinen Zweifel mehr und ich glaubte ihr, weil ich es so stark fühlen konnte und dieses Mitgefühl hatte sie „erlöst“ – Heute braucht sie nichts mehr für uns erledigen – sie ist noch da, aber sie ist jetzt frei und ohne Leid. Ja, glaub diesen Innens – sie haben wirklich gelitten!

  2. Ist bei uns auch so. Wenn man dieses Leid, dieses zu tiefst verletze sieht und fühlt, dann glaubt man eher. Wenn Mitgefühl entsteht und man die dann echt umarmen oder trösten kann und will, dann glaubt man ihr auch so richtig.
    Klappt bei uns meist nur in der Therapie so, bis auf ein Flashback, unser erster dieser Art.
    Leider zweifeln wir irgendwann später aber doch wieder daran. Vielleicht zweifeln die, die das nicht spüren konnten, oder garnicht mitbekommen haben?
    Andererseits gibt es eben auch die anderen Flashbacks, wo ich quasi zu viel Abstand und zu wenig Infos bekomme, oder diese zu kurz oder zu verwirrend sind um sie einzuordnen. Und diesen zu glauben, erst recht wenn sie so gar nicht konform sind, das fällt mega schwer.
    Oder wenn wir die nicht mögen, die gemein zu anderen sind, dann können wir denen erst mal so gar nicht glauben. Ohne Therapie wäre es glaub ich unmöglich das zu glauben, viel zu krass ist es, und der Anteil viel zu unnett, um die trösten zu können. Oder wenn sich welche bei der Therapie lustig machen über die anderen und deren Schwäche, und alles ins lächerliche ziehen, dann ist es auch insgesamt schwer.
    Oder wenn alles zu schrecklich ist, um wahr sein zu dürfen…
    Vielleicht sind wir einfach noch zu sehr am Anfang, denn auch wir sind ständig mit Suizidalität konfrontiert, sobald neues dazu kommt.

  3. Oh mein Gott. Wie wunderbar, dass Auseinandersetzung mti Trauma so sein kann. Wie schaffst Du das, so zu reagieren…? Ich wünschte, ich würde das können. Ich bin (leider?)… dann extrem distanziert / unbeteiligt. … kippe in ein anderes Ich und was am Ende bleibt ist Chaos. Wie hast Du das geschafft, diesen Umgang zu finden? lg s.

    • Ich glaube, das hat sich letztlich nach langer Therapiearbeit plötzlich so ergeben. Die Gefühle eines kleinen Mädchens in mir, waren mir in dem Moment so nah und so spürbar, dass ich in die Zweifelschleife nicht einsteigen wollte und die unbeteiligte Beobachterperspektive völlig fehl am Platze schien. Letztlich war das dann eine bewusste Entscheidung.

      Aber ich kenne das auch sehr gut, wie du das beschreibst. Dass ich mich eigentlich irgendwie unbeteiligt gefühlt habe und das was auftauchte gar nicht richtig nehmen konnte. Irgendwo waren die Zweifel aber auch immer wieder wichtig und sie sind auch heute nicht komplett weg. Sie sind nur offener für andere Sichtweisen geworden. 😉

      Ich glaube der erste große Schritt in die Richtung war vor einigen Jahren wirklich mir „Neutralität“ zu erlauben. Im Sinne von: Ich bewerte gar nichts auf wahr oder falsch, sondern schaue mir einfach an, was mich bewegt. Mittlerweile fühlt sich die Neutralität nicht mehr gut an und ich gehe an manchen stellen wieder auf feste Standpunkte zu. Diesbezüglich habe ich auch viel mit mir selbst „experimentiert“. Was passiert, wenn ich mir jetzt einfach mal glaube – für eine Stunde, einen Tag, eine Woche, einen Monat? Wie fühlt sich das an? Wo lande ich, wenn ich sage, das ist alles gar nicht passiert? Was wird über Neutralität möglich? Warum fühlt sich das Neutrale nicht gut an? Was weiß ich hundertprozentig und wie fühlt sich das an? Kann ich da anfangen mir zu erlauben, dass es schlimm war und erst mal das wirklich sehen/spüren?

      Beim lesen von deinem Kommentar und dem Gefühl von Distanziertheit und Unbeteiligtheit habe ich grade gedacht: „Das ist doch irgendwie logisch.“ Du warst ja wahrscheinlich damals auch unbeteiligt und bist jetzt Zeuge, wie andere Personen dir von ihren Erlebnissen erzählen. An sich wäre das aber keine Widerspruch zu glauben, nur weil ihr in einem Körper wohnt. 😉

      Ganz liebe Grüße,
      Sofie

  4. Pingback: Von innerer Zeugenschaft | Sofies viele Welten

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