„Heute bin ich EIN gesunder Mensch“

Dieser Satz hat mich aus den Fragen von  Vergissmeinnicht besonders angesprungen. Deshalb habe ich ihn hier für diesen Beitrag herausgepickt.

Zu „Ein Beitrag für euere Fragen“ schreibt sie:

Ist ein „heute bin ich EIN gesunder Mensch – Zustand“ um sich von dem Mist zu erholen überhaupt irgendwie machbar?

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Da saßen wir nun auf dem Bett und wiederholten in Gedanken den Satz:
„Heute bin ich EIN gesunder Mensch.“
Und dann wiederholten wir ihn nochmal und nochmal und versuchten zu spüren, was er in uns macht.
Hmm.
Wir forschten in unser Herz, boten den Worten Resonanzraum und lauschten, was wir empfinden. Eines war ziemlich schnell deutlich spürbar:
Wir sind doch ein gesunder Mensch! Wir müssen zwar derzeit viele Seelenteile in einem Körper unter einen Hut bringen, aber letztlich bleiben wir ein gesunder Mensch. Die Umstände in denen wir aufgewachsen sind, waren krank, aber doch nicht wir. Unser Viele sein als Überlebensreaktion darauf hat uns den Arsch gerettet. Viele zu sein ist etwas sehr gesundes, wenn man so ungesund groß wird.
Im übertragenen Sinne sind bei einer Erkältung ja auch die Viren und Bakterien für die Symptome verantwortlich und nicht die eigene Nase oder der Hals der Betroffenen. Dass das Immunsystem dann reagiert, ist ein gesunder Schutz und im eigentlichen Sinne nicht krank.
Zumindest stimmt das in der Form, wenn man „gesund“  als etwas richtiges, vernünftiges, unbeschädigtes oder normales definiert.

Irgendwann beim Denken fällt uns nebenbei auf, dass wir es deshalb in unserem Heilungsprozess tatsächlich aufgegeben haben „Gesundheit“ als Ziel festzulegen. Das hatte für uns immer den bitteren Beigeschmack, als wären wir kaputt, beschädigt und hätten jetzt einen Makel. Erst später, wenn die „Kratzer“ aus der Seele wieder rauspoliert sind, wären wir als Mensch in Ordnung. Das schien bei dem Berg an Verletzungen bisweilen unmöglich und machte ziemlich verzweifelt oder hoffnungslos. Mittlerweile geht’s uns einfach darum, wie wir uns wohlfühlen können oder den Alltag bewältigen oder Beziehungen führen oder… und da gibt es tatsächlich immer wieder kleine Erfolge.

Dann gäbe es da ja noch den Wortdefinitionsbereich, in dem man „Gesundheit“ vom Grad des persönlichen körperlichen oder psychischen Leides abhängig machen könnte.
Ok, manchmal leiden wir. Manchmal tut alles einfach nur noch weh. Es wäre schön, wenn sich daran dauerhaft etwas zum Besseren verändert. Das sehen wir aber auch als etwas realistisches und erreichbar.

Um nach meinen Ausschweifungen zur Ausgangsfrage von Vergissmeinnicht zurück zu kommen:
Ich glaube schon, dass man auch mit extremen traumatischen Erfahrungen einen Punkt erreichen kann, an dem man sich wohlfühlt und das Leben wieder lebenswert ist – mit all den Höhen und Tiefen, die auch ein „normales“ Leben zu bieten hat. Das geht vielleicht langsam und nur in kleinen Schritten, aber es geht. Wir haben im laufe der Jahre so viel an Lebensqualität zurückgewonnen. Das würden wir nicht mehr missen wollen.

Was ich dabei für wichtig halte, ist, dass man sich seine „Gesundheit“ selbst definiert. Sonst läuft man Gefahr Äpfel mit Birnen zu vergleichen und damit einen Sumpf von Hoffnungslosigkeit zu provozieren. Die eigene Lebensrealität ist nunmal unterschiedlich zu der von anderen Menschen. Mit derartigen Erfahrungen zählen unweigerlich andere Werte, es beschäftigen andere Themen und man wird auch andere Ziele haben. Dazu gehört auch, dass man nicht erst gesund sein darf, wenn man voll erwerbsfähig ist. Ich weiß beispielsweise auch noch gut, wie glücklich ich war, als die erste Träne wieder über meine Wange fließen durfte und uns allen damit etwas emotionaler Druck genommen wurde. Das war eine Meilenstein in meinem Genesungsprozess. Darüber denken andere Menschen nicht mal nach.

Ziel muss es für mich auch nicht sein wieder EINE zu werden. Solange ein gutes inneres Team besteht, die traumatischen Erfahrungen verarbeitet sind und man sich als „Viele Mensch“ wohl fühlt, ist alles bestens. Wie es persönlich sein soll, muss jede Betroffene in der Therapie letztlich selbst für sich entscheiden.

Wir fahren ganz gut damit zu sagen, wie alle sind zu jedem Zeitpunkt gut und gesund so wie wir sind. Das ist für unseren Selbstwert wichtig und damit entscheidend für unsere Heilung.

4 Kommentare zu “„Heute bin ich EIN gesunder Mensch“

  1. Liebe Sofie,
    GESUND im Sinne von nicht verrückt, sondern eben eine gesunde Reaktion auf verrückte Zustände stimme ich vollkommen zu. Gesund im Sinne von heil, geheilt kann ich nicht zustimmen und ich weiß nicht, ob das gehen kann. Ich kann deine Strategie sehr gut nachvollziehen bzgl. Selbstwert. Es ist schwierig beides im Blick zu behalten. Jene Wertigkeit und Stärke, die uns überleben ließ und jenes, das noch anzusehen und zu heilen ist.

    Wohlbefinden ist vermutlich wie du schreibst der Gradmesser, der zwischen Krankheit und Gesundheit unterscheidet.

    Liebe Grüße
    „Benita“

    • Ich glaube fest daran, dass das geht! 😊 Sonst wäre der Weg ja völlig sinnlos, bzw. hoffnungslos, oder? So erlebe ich den Prozess nicht. Wenn ein bisschen Heilung geht, dann geht sie auch ganz. 😉 Allerdings sehen wir uns, wie gesagt, auch jetzt schon in unserer Definition als heil.

      Grade hab ich mich an eine Situation erinnert, in der es mir richtig mies ging und die Tränen nur so liefen und gleichzeitig haben wir uns so viel ganzer und heiler gefühlt, als in der ganzen fröhlichen Funktionierzeit vorher.
      Ich merke es ist echt kein einfach zu fassendes Thema…

      Liebe Grüße und eine gute Nacht,
      Sofie 😊

  2. Danke dir Sofie für deine Antwort.
    Ich sehe die DIS auch als normale Reaktion auf die Gewalt an und nicht als Krankheit an. Jedoch ist unser Leben alles andere als normal und gesund. Dinge wie Selbstverletzung und selbst zerstörerisches Verhalten, das ständige Leiden, die Körperschmerzen, Todes Sehnsucht usw. empfinde ich alles andere als normal für einen Menschen. Meine Vorstellung von normalen gesunden Menschen ist eher das Gegenteil von dem, was ich und die anderen in unserem Körper fast täglich durchmachen.
    Mein Ziel ist nun auch nicht EIN zu werden, sondern „normal“ leben zu können, wo weder Essen, Schmerzen noch andere Menschen noch Dauerstress oder so, ein ständiges Problem sind.
    Für mich ist „gesund sein“ mit Freiheit im Handeln, Glücklich sein und Leichtigkeit verbunden und nicht mit Dauerleiden.
    Ganz viele liebe Grüße ❤

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