In die Welt gedacht

Ich sitze am Tisch und stochere mit dem Löffel in meinem Müslijoghurt. Ein Korn mag sich nicht beißen lassen. Egal wie sehr ich es mit der Zunge durch den Mund von einem Zahn zum nächsten Schubse – an seiner Hülle tut sich nichts. Irgendwann sortiere ich es aus, weil es wie Stroh unnachgiebig hölzern bleibt. Mein Kopf ist müde und so spare ich mir aus diesem unwichtigen Fakt die Geschichte der spröden Kornfee zu machen. „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann kauen sie noch heute“ wäre ohnehin ein armselig abgedroschener Schluss. Der Mülleimer leistet mir statt dessen gute Dienste.

Am liebsten würde ich nebenbei gedankenverloren aus dem Fenster starren. Dabei ließe sich die Straße beobachten. Wenn bei den Nachbarn noch Licht brennt, könnte ich sogar ein paar kurze Blicke in deren Haus erhaschen. Vermutlich würden sich nur Vorhänge und kleine Zimmerpflänzchen zur Schau stellen. Diese Wohnung wird nämlich bewohnt ohne jemals auch nur andeutungsweise Menschen sichtbar zu machen. Doch ich habe ein ganz praktisch anwesendes Brett vor der Stirn, weil ich dummerweise die Jalousien bereits geschlossen habe, bevor ich mich zum Essen setzte. Ich wollte nicht beobachtet werden. Blöd. 

Tatsächlich interessiere ich mich recht wenig für das was meine Nachbarn tun. Am Abend entspannt es mich manchmal das Licht der Umgebung zu verfolgen. Wenn im Schein der Straßenlaternen Schneeflocken zu Boden purzeln oder Regentropfen das Lampenlicht zu langen Strahlen verwischen, kommt mein Kopf ein wenig bei sich an. Dann ist Zeit für die inneren Geschichten. Manchmal wird der selbst erlittene Krimi munter. Wir nehmen uns gegenseitig mit in andere Straßen und andere Jahre. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft die Energiesparlaterne vor dem Fenster zu unserem Portal in andere Welten wurde. Vielleicht liegt es daran, dass wir auch früher häufig nachts auf die Straße starrten. Um uns abzulenken zählten wir dort die vorbeifahrenden Autos, warteten auf Menschen oder schalteten einfach nur ab, indem wir den Wind auf seiner Reise durch die Gärten der Nachbarn beobachteten. 

Bei einem kurzen Abstecher auf den Balkon sehe ich den Mond hinter der Wolkendecke schimmern. Die Luft ist kühl. Die letzte Nacht des Wochenendes hat begonnen. Ich bin gespalten, ob ich mich darüber freue. Morgen gibt es viel zu tun. Die Ruhe habe ich genoßen. Andererseits sehe ich Menschen, die ich sehr gerne mag. Irgendwie würde ich Ruhe grade lieber mögen, aber es bleibt ja noch etwas Zeit. Eine Nacht. Dunkler Raum. Wir können ihn füllen. Mit allem was man braucht. 

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4 Kommentare zu “In die Welt gedacht

  1. Ein schöner Text, in den ich mich gut hineinversetzen kann. In den Bildern die er schafft, sehe ich mich manchmal sitzen, gehen.

    Eure Art zu schreiben ist besonders. Es braucht keine große Story, keine „Geschichte“, es braucht nur die Bilder, die Ihr mit Eurer Seele in die Worte zeichnet. – Ich mag das gern lesen, ertappe mich bei dem Wunsch, dass es nie aufhören möge.

    Dankeschön und sehr liebe Grüße! 🌷

    • Das freut mich sehr, lieber Sternenflüsterer! Wir hoffen wir können noch ganz viele Geschichten mit dir teilen. Mit deinem Kommentar hast du bei uns auch kleine Wortspuren gemalt. Unser Herz hat einen ganz fröhlichen Hüpfer gemacht. 😉

      Liebe Grüße und einen schönen Abend!
      Sofie

  2. Eure Erzählweise ist wunderschön und so mit liebevollen Details geschmückt, dass man sich darin gerne verliert – vielen Dank dafür, das ist unglaublich entspannend! 🌸

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