ABC-Etüden: Baracke – lau – widerfahren

Der Wind weht lau. „Wo ist nur mein Buch?“ Ich suche unter Wäschebergen, die längst gewaschen sein sollten und allerlei anderem Tand. Es scheint verschwunden zu sein. Keine Spur. Die kleine Spinne Baltasar krabbelt mir über Finger und Arm bis zum Ohr. Ein wenig muss sich der Spinnenfreund wohl von der Muschel zum Gehörgang abseilen, dass ich ihn auch gut hören kann. Vergnügt schaukelte er vor dem Eingang am Netzfaden hin und her. „Man könnte meinen, wir leben in einer Baracke“, kritisiert er mit belehrendem Unterton. „Ach, Baltasar! Jetzt übertreibst du aber! Hilf mir lieber suchen!“ „Wer weiß, was ihm widerfahren ist…“, feixte er. „Vielleicht haben es die Motten gefressen.“ „Darüber macht man keine Scherze! Du weißt selbst am Besten, wie wichtig es ist.“ Noch gestern habe ich mit einer frischen Kaktusnadel wichtige Notizen darin festgepinnt. Der kleine grüne Kaktus auf der Fensterbank neigte sich mit argwöhnischem Blick nach vorne. „Hab ich nicht erwähnt, dass schon meine Vorfahren ausgesprochen geschickt darin waren, mit ihren Nadeln Dinge verschwinden zu lassen?“, fragte er betont unschuldig. „Ach, du Schreck! Nicht mein Hexenbuch! Wie soll ich nur ohne meine Prüfung schaffen?“

Mehr zu den ABC-Etüden, den Schreibeinladungen und den Teilnahmebedingungen findet ihr bei Christiane auf ihrem Blog „Irgendwas ist immer“. 3 Begriffe suchen ihren Platz in einem kreativen Text mit maximal 300 Wörtern.

ABC-Etüden: Pilze – traurig – schlafen

Ich spüre einen tiefen Sog, der mich nach unten zieht. Wie in einem Strudel beginne ich mich um die eigene Achse zu drehen und zu versinken. Gerade noch hat das Kaminfeuer warm geflackert. Mein Blick folgte den Flammen. Dann begann die Verwandlung. Nur einen Hand vom Fliegenpilzpulver in die Glut hat mich fertig für den Aufbruch gemacht. Pilze sind zum Reisen wesentlich komfortabler als Besen. Es ist traurig, wie viele Hexen unter flugbedingten Verschleißerscheinungen leiden. In meiner Zunft ist das wohl die häufigste Ursache für Arbeitsausfälle. Dieses Risiko! Nein, da gönne ich mir lieber hin und wieder einen kleinen Pilzzauber, um lautlos und unsichtbar in die andere Welt zu wandern. Durch den Kamin steige ich mit dem Rauch nach oben oder suche mir vorab eine Baumpforte und bitte um Einlass ins Erdreich. In der Hölle treffe ich bei Zeiten den Papst. Auch er holt seine Kräutlein für den Klosterlikör bei Frau Holle. Aber: „Psssssst! Lasst die Gläubigen schlafen!“

Mehr Infos zu den ABC-Etüden findest du auf dem Blog von Christiane „Irgendwas ist immer“.

ABC-Etüden: Rumpelkammer – mutvoll – zehren

Es war einmal vor einer langen Zeit, in der Rumpelkammern gerade neu erfunden waren, als sich die pubertäre Königstochter dazu entschloß ihr Zimmer ebenso einzurichten, wie es sonst nur in den stolzesten Rumpelkammern des Landes zu sehen war. Bald war ihre Kammer mit allerlei Tand so voll gefüllet, dass sie sich selbst darin verlor. Ihre ansonsten zart weißen Glieder staubten unter den Spinnennetzen ein und verfärbten sich gräulich. Wann immer man ihr empfahl das Chaos zu beheben, sah man durch ihren Zorn kleine Rauchwölkchen aus den Fenstern steigen. Durch ihr wütendes Stampfen lösten sich die Flusen und Partikelchen von den Habseligkeiten und verteilten sich im Lande. Bald ward die Feinstaubbelastung dadurch so hoch, dass der König gezwungen war ein Klimaschutzgesetz zu erlassen. Mutvoll trat er vor sein Volk. „So gehet und räumet euere Rumpelkammern auf.“ Und die Leute kamen zusammen, putzten gemeinsam die Häuser, sortierten den Müll und reduzierten die PS der Kutschen. Bald erstrahlte das Reich in neuem Glanz. Von der gegenseitigen Hilfsbereitschaft zehren sie noch heute.

Mehr Informationen und Teilnahmebedingungen zu den ABC-Etüden gibt es bei Christiane auf „Irgendwas ist immer“.

ABC-Etüden: Vogelflug – ängstlich – schwingen

Bild von Алина Осипова auf Pixabay

Vergnügt kletterte sie in den Ästen des alten Nussbaumes umher. Mit Menschen war sie eher ängstlich und zurückhaltend. Die Natur jedoch lockte die Räubertochter aus ihr heraus. In den Flüssen und Bächen bastelte sie kleine Staudämme aus Steinen. Mit Pfeil und Bogen spielte sie Indianer und fesselte den Nachbarsjungen, was ihr nicht nur einmal Ärger aufhäufte. Gespannte Grashalme brachte sie zwischen ihren Fingern zum Schwingen. Das machte einen eigenartig quietschenden Ton und kribbelte an den Lippen. Manchmal musste sie dann kichern. Ihre Gedanken waren frei, so frei, dass sie in der Schule kaum zu zähmen waren. Immer war sie überall und nirgends, doch nie richtig da. „Was soll aus dir nur werden?“, grübelten die Erwachsenen und weil sie die Frage so oft stellten, beschloss sie Versagerin zu sein. Weiterlesen

ABC-Etüden: Gewächshaus – jodhaltig – fälschen

Es war dunkel. Von der Decke hingen knorrig verästelte Fäden. Vom Eingang aus konnte man kaum in das Innere sehen. Manch einer hätte ihn wohl mit einem Mauseloch verwechselt. An den Wänden lugten grobe Poren aus der feinen Lehmschicht. Allerlei Kriechtiere belebten das Heim. Feucht und erdig roch es in den kleinen Höhlen tief im Wurzelwerk. Pilzmyzele durchspannten das Wohnzimmer wie silbrig leuchtende Vorhänge. Kalt umhüllte Erde die unterirdischen Gebäude. Franz fühlte sich dort besonders wohl. Direkt unter dem Fliegenpilz lag seine Wohnungstüre. Gemeinsam mit Frau und Kind war er vor vielen Jahrtausenden hier eingezogen. Seine rote Zipfelmütze hielt ihn warm. Seit Generationen sorgte er mit seiner Zunft als Zwerg für das Leben unter der Erde. Selten kam er an die Oberfläche. Meist geschah dies nur dann, wenn er in den Garten direkt gegenüber des Weges huschen wollte, um etwas Gemüse für die Zubereitung einer köstlichen Suppe zu holen. Wie eine Tarnkappe formte sich dann sein Hut zu einem roten Pilzschirm mit weißen Tupfen. Nur wenige Menschen bemerkten, dass es sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Pilz handelte. Die Welt war sein Gewächshaus. Sie bot ihm Lebensraum und alles was er für sein Glück brauchte. Die Währung von Mutter Erde lies sich nicht fälschen. Sie lächelte „Danke“ für seine Arbeit und sah mit dem Herzen. Jedes Wesen trug und nährte sie. Franz freute sich, wenn er ihr im Gegenzug helfen konnte, indem er Wurzelstränge entknotete, Regenwürmer fütterte, die Ernte pflegte und unachtsame Menschen von ihrem Inneren fern hielt. Zu Mittag zauberte er sich herzhaftes Wurzelgemüse. Möhren sind jodhaltig. Das stärkt seine Kräfte. Und wenn er mit Frau und Kind lachend am Esstisch saß, den sein alter Baumfreund ihnen mit der Wurzel formte, dann vergaß er für einen Moment alle Sorgen. „Die Welt ist wunderbar beseelt“, gluckste er mit einem Schluck Beerenschnaps auf der Zunge seinem Zwergennachwuchs zu. „Seele sieht man mit dem Herzen. Der Verstand ist für das wesentliche blind.“

Wer Lust hat bei den ABC-Etüden auch mitzuschreiben findet alle weiteren Infos hier bei Christiane.

Roman variabel entlassen

“Ach, Roman…“, dachte ich bei mir und erwischte mich sogleich bei sentimentalen Gedankenspielereien. Als wir uns vor vielen Jahren kennenlernten, war er ein stolzer Mann gewesen. Er griff nach den Sternen und legte sie mir zu Füßen. Seinem Blick wohnte ein geheimnisvoller Zauber inne, der mich in den kältesten Momenten so einhüllte, als würde die dickste Kuscheldecke mich samten betten. Es mag im Leben viele Ungewissheiten geben, an unserer Liebe jedoch ist nichts variabel. Vor einigen Monaten hat Roman seinen Job verloren. Sein Chef musste ihm kündigen. Seitdem ist er dünner geworden, verkroch sich mehr und mehr in ein Schneckenhaus und sah bald nur noch wie ein magerer Schatten aus, der sich vor mir und der Welt immer mehr verschloss. Die Fassade von Leistung und Ansehen bröckelte. Seine innere Wüste trat hingegen mehr und mehr zum Vorschein. Nie hatte er gelernt, seine eigenen Werte zu finden und sich selbst zu lieben. An diesem frischen Septembermorgen durchfährt mich ein eigenartiger Schauer, wenn ich an Ihn denke. Eben noch habe ich ihm vom Fenster aus nachgeblickt, als er die Straße zum Auto hinunterlief. Kaffeegeruch stieg mir in die Nase und ich habe mich an der Tasse festgehalten, so fest, als wollte ich still für mich sagen: „Mein Herz, mein Herz… Es hat dich nie entlassen. Es kennt dich als Mensch.“

Die Schreibprojekte und Ideen von Christiane findet ihr hier. Unter dem Beitrag dort sind auch andere kreative Etüden verlinkt, die obige Begriffe enthalten. Vielleicht habt ihr ja Lust auch mal vorbeizuschauen und mitzumachen. 😊